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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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jeden Gedanken an die Wiedergekehrten und ihre unwiderruflich verlorenen Erinnerungen ab und rief mich zur Ordnung. Ich hatte eine Arbeit zu erledigen und es wurde Zeit, dass ich mich darum kümmerte. Mar Ayomida duldete keine Tagträumerei und Saumseligkeit unter ihren Frars und Sors.
    Ich öffnete mein Schreibbündel und rollte es aus, dann begann ich sorgfältig damit, meine Lieblingsfeder nachzuschneiden. Ich entfernte die Versiegelung aus Wachs und zog den Korken aus dem Tintenfässchen. Der herbe Duft des Atramentums schmeichelte meiner Nase wie das schönste Frühlingslüftchen.
    Wie jeder Scriptor trug ich mein Notizbuch ständig bei mir, es ruhte in einer Tasche, die an meinem Gürtel hing. Ich zog es heraus und schlug es auf.
    Dann nahm ich das kleine, scharfe Messerchen, das ebenfalls in der Gürteltasche lag, murmelte die heiligen Worte und stach in meinen Daumen. Ich presste einen dicken Tropfen Blut heraus und ließ ihn auf meine Schreibfeder fallen, bevor ich sie in das Tintenfässchen tunkte.
    Ich schrieb Ort und Datum des Eintrags auf eine leere Seite. Dann sammelte ich meine Gedanken und schrieb Geschichte der Elben – Seelentrinker . Noch gestern hätte ich an dieser Stelle Mythen der Elben notiert, aber die Erzählung des Elbenbarden hatte jeden Zweifel daran beseitigt, dass er von einer wahrhaft stattgefundenen Episode der elbischen Geschichte berichtete. Ich ließ eine Zeile frei, um eine genaue Datierung nachzutragen. Das hier waren zwar nur meine persönlichen, unvollkommenen Notizen, aber wenn dieses Stück der Geschichte irgendwann einmal ins Große Buch eingetragen wurde, dann wollte ich meinen Teil des Bildes mit allen nötigen Daten so lückenlos wie möglich beisammenhaben. Ich freute mich auf den Tag meiner Rückkehr und die Zusammenkunft mit meinen Brüdern und Schwestern, die mit diesem Forschungsgebiet vertraut waren. Sie würden beisteuern, was sie in ihren Notizbüchern hatten und daraus würden wir ein größeres, farbigeres Bild formen, das langsam seiner Vollendung und dem Eintrag ins Große Buch entgegenwuchs.
    Ich begann also, meine Erinnerungen an das Erzählte zu fixieren. Wie alle Scriptoren verfügte ich über ein gutes Gedächtnis, deshalb schrieb ich die wichtigsten Passagen in den Worten des Elbenbarden nieder und verfasste nur die Überleitungen zusammenfassend in meinen eigenen Worten. Hierfür verwendete ich die Kürzelschrift, die alle Brüder und Schwestern meines Ordens benutzen. In den Jahren, die ich zum Orden gehörte, hatte ich wie die meisten Frars und Sors meine eigene Kürzelschrift daraus entwickelt und benutzte die offizielle Variante nur noch in Aufzeichnungen, die für die Allgemeinheit lesbar sein sollten. Ich erfreute mich, während ich die Feder eintauchte, an den Kringeln und Schnörkeln, die aufs Papier flossen wie die Spuren kleiner Vögel und Tausendfüßler. Die Worte des Elben erschienen in einem sanften Blaugrün, meine eigenen Zusammenfassungen schimmerten nachtschwarz, und hin und wieder erschien ein Wort oder eine Passage in einem glühenden Rotorange. Diese Stellen würde ich mir nachher noch genauer ansehen, weil ich Maris danach befragen musste. Dort stand Tuula , ein Elbenname. Ich konnte mich nicht erinnern, wer diese Elbin war. Hatte Maris den Namen überhaupt erwähnt? Tuula. Er klang wie der sanft-klagende Ruf einer Taube. Ich zeichnete eine Taube, die Zeichnung erschien in mattem Gold, glänzte dann einen Lidschlag lang wie helles Silber und verblasste, verschwand vom Papier, als hätte ich sie nie gezeichnet. »Verblasst und geschwunden«, schrieb ich neben den Namen. Tiefe Schwärze wandelte sich in Orangerot – Sonnenuntergangfarben.
    Ich schrieb weiter, alle weiteren Gedanken an Tuula verdrängend. Die Sonne sank in den Abend, der Himmel kleidete sich in violette, orangefarbene und flammend rote Farben, als schriebe die untergehende Sonne »Tuula – Tuula« in das leuchtende Blau. Ich beachtete es nicht, schrieb wie im Rausch.
    Die ersten Sterne blinkten am tiefblauen Himmel, als ich die Feder mit einem Tüchlein abwischte und über das letzte beschriebene Blatt pustete, um es zu trocknen. Je weiter ich mit meinen Aufzeichnungen gekommen war, desto mehr flammenfarbene Zeilen hatten sich in den Text geschlichen. Es drängte mich, sie zu lesen, begierig zu erfahren, welche Geheimnisse sie wohl

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