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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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nur, dass mein Großvater vor langer Zeit weggegangen sei. Aus welchem Grund, wollte er mir nicht sagen. Auch Thurugea wehrte meine Fragen ab. Es schien ihr unangenehm, an ihn zu denken.«
    »Hast du damals nicht auch deinen Vater nach ihm gefragt?«
    »Doch, natürlich, aber auch er weigerte sich, über seinen Vater zu sprechen. Irgendetwas Ungeheuerliches muss vorgefallen sein, dass sie sich so bemühten, ihn zu vergessen. Ich habe keine Ahnung, was das gewesen sein könnte.«
    Der Erdgnom hob die Hände. »Das bringt uns leider nicht weiter. Er kann aus tausend Gründen fortgegangen sein. Ich vermute aber, dass das alles nichts mit unserem Schattenlord und den merkwürdigen Dingen hier im Land zu tun hat.«
    »Wahrscheinlich hast du Recht«, sagte Céredas, und damit schien dieses Thema erledigt.
    Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Hinter der Mauer wurden Feuer in eisernen Körben entzündet, und Wächter schritten paarweise mit Fackeln in den Händen auf und ab. Die Männer und Frauen, die noch in den Gassen unterwegs waren, beeilten sich, ihre Kammern oder eines der Gasthäuser zu erreichen. So machten sich auch die Freunde auf den Rückweg.
    Sie schliefen ruhig in dieser Nacht. Nur Céredas wachte ein paarmal auf und trat an das winzige Fenster, um in den Himmel hinaufzusehen. Arawin beherrschte in dieser Nacht das Firmament und tauchte das Gewirr von Giebeln in sein silbernes Licht. Céredas fühlte sich ruhig. Auch sein Bein pochte heute Nacht nicht. Er sog die Nachtluft ein und ließ den Blick über die Fackelpunkte schweifen, die noch immer an der Mauer auf und ab wanderten. Heute Nacht würde nichts Böses geschehen.
     

Kapitel 6
Aylana
    Am nächsten Morgen fasste sich Tahâma ein Herz und fragte die Frau, die ihnen die Milchsuppe brachte, nach den Blauschöpfen. Die Kellnerin schüttelte den Kopf. Nein, so jemanden wie Tahâma hatte sie noch nie gesehen, aber die Gäste hätten von seltsamen Leuten gesprochen, die durch die Stadt gezogen seien. Auch der Wirt, den sie als Nächstes fragten, war den Tashan Gonar nicht begegnet, hatte aber mitbekommen, wie sich Leute aus dem Westviertel über eine Gruppe Fremder mit blauem Haar unterhielten, die dort Quartier genommen haben sollten. Voll neuer Hoffnung eilte Tahâma an diesem Morgen den Freunden voran durch die Gassen und zwängte sich zwischen den vielen Bewohnern hindurch, die überall unterwegs waren. Als Erstes fragten sie den Bäcker, der seinen Stand auf dem Platz vor einem Brunnen aufgebaut hatte, aber auch er hatte keine Blauschöpfe getroffen. Von einem Honigverkäufer erfuhren sie, dass ein Teil der blauhaarigen Leute in Bauer Donerlovs Scheune geschlafen hatte. Aufgeregt klopfte Tahâma an die blau gestrichene Tür des schmalen Häuschens. Ein Mädchen öffnete und teilte den Freunden mit, dass der Bauer und seine Frau draußen auf dem Feld seien. »Hast du sie denn gesehen?«, fragte Tahâma.
    Das Mädchen nickte, dass die blassbraunen Zöpfe flogen. »Manche hatten tiefblaues Haar, so wie du. Andere eher violettes oder türkisfarbenes, und das Haar eines alten Mannes schien mir genau die Farbe des Flieders zu haben, der im Frühling draußen vor der Stadt blüht.«
    »Das war Granho«, sagte Tahâma ehrfurchtsvoll, »der Vater des Rhythmus. Weißt du denn, wohin sie gegangen sind? Hast du mit ihnen gesprochen?«
    Das Mädchen zog die Stirn kraus. »Sie sind nur eine Nacht bei uns geblieben. Ich habe ihnen das Essen gebracht, und da hörte ich sie reden. Einer wollte hier bleiben, ein anderer sagte, es wäre beschlossen, ein eigenes Dorf zu gründen. Eine Frau meinte, sie wolle nicht in so einer engen, stinkenden Stadt leben, und eine zweite, sie habe Heimweh nach ihren Gärten und nach etwas, das sie Windharfe nannte.« Das Mädchen verstummte.
    »Ja, und dann? Wohin sind sie am nächsten Tag gegangen?«, drängte Tahâma.
    Das Mädchen zuckte die Schultern. »Sie sind wohl die Straße weiter nach Westen gezogen. Frag doch die Wächter am Tor. Sie können sich bestimmt noch daran erinnern. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass so viele Leute eines fremden Volkes durch unsere Stadt ziehen.«
    Die drei Freunde gingen zurück zum Gasthaus, packten ihre Bündel und holten die Pferde aus dem Stall. Sie umrundeten den Stadthügel, bis der breite Torweg abzweigte, der zum Westtor hinunterführte.
    Die Wächter, die gerade Wache hielten, hatten die Blauschöpfe nicht gesehen. »Fragt da drüben in der Schenke nach«, riet einer,

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