Die Seele der Nacht
lauerte Gefahr, aber würde man in der Stadt nicht irgendwann ersticken? Oder einfach nur in Sicherheit langsam dahinwelken?
Zu Mittag machten sie auf Wurglucks Drängen eine kleine Rast, um sich zu stärken. Tahâma trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und trieb die Freunde zur Eile an. Auch Céredas lehnte barsch die Bitte des Gnoms ab, einen kleinen Schlummer anzuschließen.
Brummend ergab sich der Erdgnom in sein Schicksal und ließ sich wieder auf den Pferderücken heben. »Ich möchte wirklich wissen, was es mit dem blauen Feuer auf sich hat«, sagte er, als er wieder vor Tahâma saß und sie in flottem Trab die Straße entlangritten. »Und vor allem will ich endlich mehr über den Schattenlord und den nächtlichen Schrecken erfahren.«
»Nun gedulde dich noch ein paar Stunden«, riet ihm Tahäma. »Heute Abend werden wir zumindest auf deine erste Frage eine Antwort finden.«
»Geduld«, grummelte Wurgluck und verfiel wieder in sein stumpfes Brüten.
Im Norden ballten sich dunkle Wolken zusammen. Ihre Bäuche schimmerten in düsterem Violett. Ein stürmischer Wind jagte sie heran. Besorgt sah sich Tahâma um und trieb dann die Stute an, die ein wenig hinter Céredas’ Hengst zurückgeblieben war. Die ersten Blitze zischten hernieder, der rollende Donner ließ die Erde erzittern. Noch einmal sprang das gleißende Lichtband über den schwarz gewordenen Himmel, dann barsten die Wolkentürme, und der Regen rauschte in riesigen Tropfen herab. Die Pferde wieherten nervös beim Klang des Donners und spielten mit den Ohren.
»Halt an, halt an«, kreischte Wurgluck. »Sie werden uns abwerfen. Wir müssen irgendwo Schutz suchen!«
Tahâma drängte ihr Pferd an Céredas’ heran. Sie musste schreien, um den Sturmwind zu übertönen. Zu ihrer Überraschung stimmte der Jäger mit einem Nicken zu und deutete auf ein kleines Wäldchen am Rand der Talebene. Er trieb seinen Hengst an. Ganz in der Nähe schlug ein grellgelber Blitz in eine hohe Tanne. Das Pferd wieherte panisch und bäumte sich auf. Wurgluck kreischte. Er hielt sich die Augen zu, doch Céredas hatte den Rappen schnell wieder im Griff und ritt rasch auf das Wäldchen zu. Tahâma folgte ihm. Am Waldrand angekommen, stiegen sie ab und zerrten die widerwilligen Pferde ins Unterholz. Das dichte Laub über ihren Köpfen dämpfte den Sturmwind und hielt den meisten Regen ab. So saßen sie eng aneinander gedrängt auf einem umgestürzten Baum und lauschten dem Heulen und Grollen von Wind und Donner. Endlich verzog sich das Gewitter. Die Blitze wurden weniger grell, der Donner ließ sich Zeit, ihnen zu antworten.
»Lass uns weiterreiten«, sagte Tahâma und erhob sich, »wir haben schon viel zu viel Zeit verloren.« Sie schüttelte ihren Umhang, an dem die Wassertropfen abperlten, ohne ihn zu durchweichen.
Céredas schüttelte den Kopf. »Wir sollten noch warten, bis der Regen etwas nachlässt.«
»Die Stunden verrinnen, und die Nacht wird nicht als Freund zu uns kommen!«, begehrte sie auf. Sie sah zu Wurgluck hinunter, aber von ihm kam kein Kommentar. Sein Kopf war zur Seite gesunken. Er schlief mit einem seligen Lächeln auf den Lippen.
Eine Stunde lang saßen sie schweigend auf dem feuchten Baumstamm und lauschten dem Rauschen des Regens, dann ließ die Flut allmählich nach. Tahâma weckte Wurgluck. Seufzend ließ er sich auf ihr Pferd heben. Im Schritt verließen sie den Schutz des Wäldchens. Erst als sie die Straße wieder unter den Hufen hatten, trieben sie die Pferde an, doch weit kamen sie nicht. Der Wolkenbruch hatte ihren Weg in Morast verwandelt, der sie zwang, die Tiere zu zügeln. Immer wieder versanken die Hufe bis über den Rand.
Tahâma sah zum wolkenverhangenen Himmel empor, aus dem nur noch vereinzelt dicke Regentropfen fielen. »Ich fürchte, wir werden die Stadt heute nicht mehr erreichen«, sagte sie.
Céredas brummte nur und wandte ihr den Rücken zu. Wurgluck starrte mit in den Nacken gelegtem Kopf in die Höhe. Nun endlich rissen die Wolken auf und gaben zwischen den gebauschten Rändern wieder ein Stück Blau frei. Die tief stehende Sonne ließ die Tropfen im Gras funkeln. Vor ihnen bog das Tal mit dem sich träge dahinwälzenden Fluss nach Norden ab, die Straße jedoch verlief weiter nach Westen. Sie schlängelte sich an den kahlen Hängen eines Hügels bis zur Hochebene empor.
Die drei Reiter passierten ein verlassenes Dorf, immer dem graubraunen Band folgend, das sie durch die hügelige Heide führte. Blutrot versank
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