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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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gellte. Die Stute bäumte sich auf. Wurgluck kreischte und klammerte sich an der Mähne fest. Der Erdgnom drohte zur Seite wegzurutschen, doch Tahâma hielt ihn fest umschlungen. Die Stute machte einen Satz und raste im Galopp den Weg hinunter.
    Tahâma hielt sich fest und beugte sich weit nach vorn, um nicht von einem tief hängenden Ast heruntergerissen zu werden. Sie hörte den Hufschlag des Hengstes, der hinter ihr über den steinigen Weg trommelte. Ihm folgte das Schreien der nächtlichen Wesen. Schwere Körper brachen durch die Büsche, flinke Pfoten flogen ihnen nach, Krallen und Klauen schabten über Kies und Stein. Plötzlich blieben die verdüsternden Bäume hinter Tahâma zurück, und sie jagte auf die Aue hinaus. Weit vorn, auf der Straße vor ihr, türmte sich ein riesiger, formloser Schatten auf. Zwei schwarze Wölfe saßen vor ihm und sahen sie unverwandt an.
    Es ist eine Treibjagd, dachte Tahâma verzweifelt. Die Hunde haben das Wild aufgescheucht und treiben es in die Arme des Jägers. Wohin nur sollten sie fliehen? Der Weg zur Brücke war versperrt. Tahâmas Blick huschte nach rechts und nach links, doch bevor sie sich entschieden hatte, brach die Stute nach rechts aus und jagte über die Wiese. Das Mädchen sah noch, wie sich der Schatten verformte. Für einen Augenblick nahm er die Gestalt eines großen Mannes in einem weiten, schwarzen Umhang an. Eine Kapuze verhüllte sein Gesicht. Darunter leuchteten rubinrote Augen in der Dunkelheit. Auf einmal fiel er nach vorn. Fell brach durch den Stoff hindurch, eine Schnauze schob sich unter der Kapuze hervor, der Umhang löste sich auf. Dunkelrot, wie das Licht des Mondes, schimmerte das Fell des riesenhaften Wolfes, der auf vier schnellen Pfoten die Verfolgung aufnahm.
    Tahâma warf den Kopf herum. Sie hatte Céredas weit zurückgelassen. Gerade erst tauchte er am Waldrand auf, fünf zottige Verfolger hinter sich, auf deren Rücken mannsgroße Gestalten saßen. Der Jäger hatte sich weit über den Hals des Rappen vorgebeugt und spornte ihn an, seine letzten Kräfte zu geben. In einem engen Haken schwenkte er nach rechts und folgte nun der Stute über die Wiese.
    Als Tahâma zur anderen Seite sah, kam der gewaltige Wolf in riesigen Sätzen hinter ihr her. Er folgte ihrer Stute, aber noch bevor er sie einholen könnte, würde er auf Céredas treffen! Hatte der die Gefahr noch nicht bemerkt? Unbeirrt jagte er voran, die Verfolger dicht hinter ihm. Tahâma schrie, löste eine Hand von der Mähne und winkte ihm warnend zu, er aber schien sie weder zu sehen noch zu hören. Wieder wandte sie sich zu dem Wolf um, der unerbittlich näher kam. Sie achtete nicht mehr auf ihren Weg, sondern überließ ihr Schicksal der Stute, die hell wiehernd durch die Nacht schoss.
    »Kopf runter!«, schrie Wurgluck.
    Geistesgegenwärtig duckte sie sich unter dem tief hängenden Ast einer Weide hindurch. Der Schwung ließ sie und Wurgluck ein Stück zur Seite rutschen. Gerade noch rechtzeitig erwischte Tahâma mit der Linken die flatternde Mähne, um sich hochzuziehen, für den Erdgnom jedoch war es zu spät. Er stieß einen Schrei aus und war verschwunden. Tahâma zerrte an der Mähne. Die Stute ließ sich nicht aufhalten. Haken schlagend suchte sie ihren Weg zwischen den immer dichter stehenden Weiden. Lange, biegsame Wedel peitschten Tahâma ins Gesicht und nahmen ihr die Sicht. Sollte sie einfach abspringen und zurücklaufen? Konnte sie dem Erdgnom noch helfen oder war es längst zu spät? Endlich wurde die Stute langsamer.
    »Kehre um, wir müssen ihm helfen«, beschwor sie das Pferd, aber das Tier reagierte nicht.
    In ihrer Verzweiflung begann sie zu singen. Die Ohren der Stute zuckten. Plötzlich schwang sie herum und trabte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Kein Hufschlag war zu hören, kein Verfolger brach zwischen den Weiden hindurch, die Schreie waren verstummt. Es war fast unheimlich still. Wo war Céredas? Endlich konnte sie den Hengst hören. Erleichterung strömte durch ihren Körper, doch der Rappe kam ohne seinen Reiter zwischen den Weiden auf sie zugaloppiert. Die Erleichterung wandelte sich in kalte Angst. Tahâma trat ihrer Stute in die Seiten. Da öffneten sich die Zweige, und das Mädchen sah auf die Wiese hinaus. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus.
     
    Céredas ritt über die Wiese. Er sah Tahâma zwischen den Bäumen am Bach verschwinden. Der Jäger hatte den rostroten Wolf längst bemerkt, doch die Verfolger ließen ihm keine andere Wahl, als

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