Die Seele der Nacht
auf die Schnelligkeit seines Pferdes zu vertrauen. Er fühlte keine Angst. Nun war er der Gejagte und brauchte die Schärfe seiner Sinne und all seine Kraft, um der Gefahr zu entgehen. Es schien, als würde der Rappe einen Vorsprung gewinnen. Da fuhr ein stechender Schmerz durch Céredas’ Wade und schoss glühend durch seinen Körper. Die Hände des Jägers verkrampften sich, aber er presste die Lippen fest aufeinander und gab keinen Laut von sich.
Der Rappe wurde langsamer. Er schlug wild mit dem Kopf hin und her, wieherte und bäumte sich auf. Céredas war ein guter Reiter, und es war viele Jahre her, dass ihn ein Pferd abgeworfen hatte, nun aber öffneten sich seine Hände, wie von einer fremden Macht dazu gezwungen. Er glitt über das weiche Fell und schlug hart auf dem Boden auf. Von seiner Last befreit, galoppierte der Hengst davon. Céredas rollte sich ab, kam auf die Füße und riss die Axt aus dem Gürtel.
Nur ein paar Augenblicke darauf hatten ihn seine Verfolger eingeholt und glitten von den Rücken ihrer zotteligen Reittiere. Von weitem und im trüben Licht der Nacht hätte man sie durchaus für Männer aus Nazagur halten können. Der gleiche schwere Körperbau, die breiten Gesichter, aber schon ein zweiter Blick enthüllte leere Augenhöhlen und faulendes Fleisch, das in Fetzen von den Schädeln hing. Ihre Hände waren schwarze Krallen, ihre Bewegungen seltsam eckig. Dennoch zweifelte der Jäger nicht an ihrer Stärke. Sie bleckten die schwärzlichen Reißzähne und kreischten, dass es in den Ohren schmerzte. Hinter ihnen krochen die zottigen Biester, auf denen sie geritten waren, auf und ab. Es waren Wesen, wie sie Céredas noch niemals zu Gesicht bekommen hatte. Sie schlichen auf vier kräftigen Beinen, die in scharfen Krallen endeten, ihr Pelz war von moosgrüner Farbe, lang und verfilzt, der Schädel mit den kleinen, roten Augen und den handlangen Reißzähnen wirkte wie eingedrückt. Die Wesen zogen einen Kreis um ihn, machten jedoch keine Anstalten, über ihn herzufallen.
Plötzlich verstummte das Brüllen und Kreischen. Die Wesen wichen zurück und bildeten eine Gasse. Die toten Männer verbeugten sich, als der dunkelrote Wolf herantrat. Die beiden kleineren schwarzen setzten sich auf ihre Hinterläufe und sahen ihren Meister erwartungsvoll an. Nebel begann um ihn zu wirbeln. Das Fell verdunkelte sich und verschwand, der Körper streckte und erhob sich. Ein schwarzer Umhang wehte im Wind. Aus glühenden Augen betrachtete die Gestalt den Jäger.
»Komm zu mir«, hallte eine Stimme in Céredas’ Kopf. »Wehre dich nicht, denn gegen mich kannst du nicht bestehen.«
Céredas’ rechter Fuß zuckte und schob sich langsam nach vorn. Der linke Fuß folgte. Er würde ihm gehorchen. Er konnte dieser Macht nicht widerstehen. Da drang der Hufschlag eines Pferdes in sein Bewusstsein und brach den Bann für einen Augenblick. Der Jäger wirbelte herum.
Tahâma sah den Freund, wie er im Mondlicht stand, den Kopf stolz erhoben, die Hand mit der Axt jedoch gesenkt, während die Verfolger den Kreis um ihn langsam enger zogen. Einige Schritte entfernt wartete der Mann, der den roten Wolfspelz wieder gegen seinen weiten Mantel getauscht hatte, die beiden schwarzen Wölfe zu seinen Füßen. Tahâma fühlte seinen Blick auf sich ruhen, für Furcht jedoch war dies nicht der rechte Augenblick.
Sie riss den Stab hervor und ließ Krísodul aufleuchten. Mit einem Sprung durchbrach die Stute den Kreis und kam neben Céredas zum Stehen. »Zurück, ihr Schatten der Nacht«, rief sie mit heller Stimme. »Schnell, steig auf«, sagte sie zu Céredas, aber der sah sie nur fragend an.
Tahâma zwang die Stute, einen Kreis um ihn zu ziehen. Langsam wichen die Gestalten zurück. Das grelle Licht schien sie zu blenden und in ihren toten Augen zu schmerzen, falls sie so etwas wie Schmerz empfinden konnten. Tahâmas Blick huschte zu dem schwarzen Mann, der noch immer reglos dastand. Nur seine Augen folgten jeder Bewegung des Mädchens. »Céredas, bitte, steig auf«, flehte sie.
Endlich kehrte Leben in den jungen Jäger zurück. Mit einer flinken Bewegung erreichte er die Stute und schwang sich hinter dem Mädchen auf ihren Rücken. »Reite, reite wie der Wind«, rief er, als die Stute durch den Ring brach und auf die Weiden zustrebte. Er schlug ihr die Fersen in die Flanken, und sie flog dahin.
Dumpf hallte Tahâma der Hufschlag in den Ohren. Sie wagte nicht, sich umzudrehen. Wo waren die Verfolger? Wie dicht waren sie
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