Die Seele der Nacht
kniete sich vor ihm ins Gras und schüttelte ihm feierlich die Hand. »Aylana di Ralow. Ich war heute Nacht in der glücklichen Lage, deinen Freunden eine sichere Zuflucht und ein Lager anbieten zu können. Und du bist also Wurgluck der Erdgnom.« Sie tastete über das knorrige Gesicht, den groben Kittel und die dürren Arme.
Das Männchen sprang auf und verneigte sich. »Es freut mich zu hören, dass meine Freunde heute Nacht ein weiches Lager hatten und sorgenfrei ruhen konnten.« Er warf Céredas einen Blick zu. »Wenn ihr wollt, berichte ich nun von meinen Abenteuern und wie ich die Stunden des Schreckens überlebt habe.«
Tahâma drückte das schlechte Gewissen. Wie musste er gelitten haben! So ganz allein, nicht wissend, ob er seine Freunde jemals wiedersehen würde.
»Wie wäre es, wenn du uns bei Himbeerwein und weißem Brot deine Erlebnisse erzählst?«, schlug Aylana vor und winkte die Stute heran. Sofort kam Glyowind zu ihr und rieb schnaubend die Nüstern an ihrer Schulter.
Tahâma drängte es, endlich weiter nach Krizha zu reiten, um der Spur der Tashan Gonar zu folgen, dennoch widersprach sie nicht. So kehrten sie zur Hütte auf dem Hügel zurück. Dort breitete Aylana ein weißes Tuch im Gras aus und holte Krug und Becher, Brot und Beerenmus. Sie setzten sich in die wärmende Sonne und sahen den Erdgnom erwartungsvoll an.
Wurgluck leerte erst seinen Becher, dann stand er auf und begann mit weit ausholenden Gesten zu berichten, wie er das Gleichgewicht verloren hatte und vom Pferd gestürzt war, wie Tahâma davongeritten und ihn allein zurückgelassen hatte. »Mein Kopf brummte wie ein Kreisel«, fuhr er fort, »und meine Glieder fühlten sich an wie zerschlagen, aber ich musste fort, mich in Sicherheit bringen. Schon preschte Céredas heran, ihm auf den Fersen ein riesenhaftes Untier, das ein Wolf hätte sein können, wenn es nicht diese roten Augen gehabt hätte und ein Fell von der Farbe getrockneten Bluts.« Der Gnom schüttelte sich. »Selbst für einen Werwolf war er zu riesig.«
»Der Schattenlord«, flüsterte Tahâma.
Wurgluck nickte. »Ja, er war es, und ihm auf den Fersen zwei schwarze Wölfe. Ich rannte zum Stamm der Weide und drückte mich zwischen ihre Wurzeln. Ich erwartete, dass Céredas jeden Moment an mir vorbeijagen würde, aber er zügelte sein Ross und wandte sich um. Er sprang vom Pferd, strauchelte und überschlug sich. Als er wieder auf den Beinen war, hatten ihn die Untoten auf ihren Reittieren schon eingekreist. Ich überlegte, ob ich ihm zu Hilfe eilen sollte, aber was konnte ich tun? Die Bestien hätten mich als Vorspeise verschluckt, bevor ich den Kreis hätte erreichen können.«
»Was haben die Untoten getan?«, fragte Aylana. »Wo war der Lord?«
»Der Riesenwolf verwandelte sich in einen Mann. Er blieb in einiger Entfernung stehen. Die Wölfe legten sich zu seinen Füßen – ja, und dann konnte ich nichts mehr sehen, weil ich mir die Hände vor die Augen hielt«, fuhr er fort und grinste verlegen. »Erst als alle weg waren, huschte ich zu dem Baum hinüber, in dessen Schatten wir uns wiedergefunden haben, und ruhte die restliche Nacht – hungrig, wie ich war – in einer Höhle unter seinen Wurzeln.«
Es war schon später Nachmittag, als die Freunde von Aylana und Glyowind Abschied nahmen. Sie ritten bis zur Straße zurück, überquerten die Brücke und folgten dann dem Weg hinauf zu den Stadttoren von Krizha. Auch die Mauern dieser Stadt waren von Türmen bewacht, doch wirkten sie weniger kraftvoll, sie waren eher hoch und schlank wie Glockentürme, und auch die Mauern waren nur wenige Fuß dick.
Der Wächter am Tor hielt die fremden Besucher an. Er betrachtete den Jäger mit der ockerfarbenen Haut und den kleinen, hutzligen Gnom mit offenkundigem Misstrauen und stellte viele Fragen. Tahâma dagegen streifte er nur mit einem kurzen Blick, ehe er die Lider senkte und sich knapp verbeugte.
Die Freunde mussten ihre Pferde am Tor zurücklassen. In der Stadt sei kein Platz für Ställe, erklärte der Wächter. Diese seien alle auf der Wiese zwischen den beiden Mauern zu Finden. Ein Stallbursche führte die Tiere davon.
Der Wächter gab jedem von ihnen drei gelb bemalte Holzstücke mit dem Wappen der Stadt: der blau auflodernden Flamme. Wer ihnen ein Nachtlager gewähre, sei verpflichtet, eines der Plättchen von jedem Gast zu verlangen, so laute das Gesetz, erklärte ihnen der Wächter. Nach drei Tagen also würden sie die Stadt wieder verlassen müssen. Nur
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