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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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rechteckiger Bau mit einem großen blauen Eingangstor. Auch das nur wenig geneigte Dach war blau, mit glatten, schimmernden Platten belegt. Um das Dach verlief eine steinerne Balustrade, hinter der zwei Wächter in den Farben der Stadt patrouillierten.
    »Ich wette, dass hier nicht in jeder Kammer eine Familie zusammengedrängt haust«, sagte Céredas mit einem Blick auf die rundbogigen Fenster, die mit farbigen Glasscheiben verschlossen waren.
    »Der Weise der Stadt hat sicher mehr Platz verdient als alle anderen. Schließlich leitet und schützt er seine Bürger«, sagte der Erdgnom, doch in seiner Stimme klang ein Hauch von Spott.
    Plötzlich erstarrte Tahâma. »Hört ihr das?« Ein seliges Gefühl durchströmte sie.
    Céredas und Wurgluck lauschten. Sie hörten die Rufe der Leute in den Gassen, das Knirschen von Wagenrädern, die Stimmen von Kindern und dann, wie ein Windhauch, ein zartes Klingen. Wundervolle Töne, mal lauter und dann wieder leiser. Sie drangen direkt ins Herz und vertrieben Mühsal und Furcht.
    »Was ist das?«, murmelte Céredas.
    »Eine Windharfe«, antwortete Tahâma. »Eine Windharfe, wie sie nur die großen Künstler der Tashan Gonar bauen können. Zumindest glaubte ich das bisher.«
    Ihr Blick schweifte über die Balustrade und das blaue Dach hinweg, und da entdeckte sie das Instrument. Fein geschliffene Glasplättchen blitzten, obwohl die Häuser am Fuß der Klippe längst im Schatten lagen, Gold schimmerte, in feinen Linien zogen die Saiten ein kompliziertes Muster. Verzückt standen die drei da und lauschten.
    »Die Stadt der Glückseligen«, sagte Tahâma, dieses Mal jedoch meinte sie es auch so.
    Die Dunkelheit sank herab. Andere Töne überlagerten den Klang der Windharfe. Auf dem Dach glomm blaues Licht auf, dann begannen schimmernde Nebel zu wabern, und schließlich sahen sie die Spitzen von bläulichen Flammen über das Dach emporzüngeln. Die Wachen hoben große runde Scheiben in zwei hölzerne Gestelle an den Ecken des Steingeländers, und plötzlich war die gesamte Felsklippe in blaues Licht getaucht. Die Musik wurde lauter und erfüllte den ganzen Platz.
    »Die Spiegel!«, hauchte Wurgluck hingerissen. »Welch großartiger Einfall!«
    Er bestand darauf, zur Stadtmauer hinüberzugehen, um die Konstruktion genau in Augenschein zu nehmen. Das war allerdings nicht so einfach. Die großen Torflügel der Innenmauer waren verschlossen, und die Wächter schüttelten unnachgiebig die Köpfe, als sie ihr Begehr vortrugen. Auch die Treppen zur Brustwehr hinauf waren von Wächtern versperrt.
    Unwillig vor sich hin brummend, strich Wurgluck an der Stadtmauer entlang, in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine unbewachte Tür zu finden. Die drei folgten der Mauer, am Gästehaus vorbei, bis sie an die Felswand stieß. Ein Türmchen erhob sich dort über die Zinnen. Oben sahen sie die Silhouette eines Wächters mit einer Hellebarde in der Hand. Die Töne, denen sie vorhin auf dem Platz gelauscht hatten, waren hier wieder deutlicher zu hören.
    Tahâma sah sich erstaunt um. Wo waren die Musiker mit ihren Instrumenten, und wie konnten sie an so weit voneinander entfernten Orten vernommen werden? Während sie und Céredas draußen standen, den Melodien und wechselnden Rhythmen lauschten und den Kranz blauer Flammen bewunderten, der direkt auf den Zinnen zu lodern schien, trat Wurgluck durch die offene Tür in das untere Turmgelass. Ein zufriedenes Kichern drang zu den beiden herüber. Sie hörten das leise Quietschen einer Tür. Für einen Moment schwoll die Musik an, dann erklang sie wieder gedämpfter.
    »Wurgluck?«, rief Tahâma.
    Keine Antwort. Sie trat durch das Tor, Céredas folgte ihr. Dort mussten sie einige Augenblicke stehen bleiben, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Schließlich unterschieden sie eine Treppe, die nach oben führte, und eine Tür in der Mauer.
    Tahâma drückte vorsichtig die Klinke hinunter und öffnete die Tür einen Spalt. Musik und blaues Licht fluteten in das Turmgelass. Sie lugte in den Graben hinaus und sah den Erdgnom vor einem der runden Spiegel stehen. »Wurgluck, komm zurück«, rief sie halblaut, in der Hoffnung, dass die Wächter oben sie nicht hören konnten. »Wenn wir erwischt werden, bedeutet das sicher Ärger!«
    Der Gnom riskierte noch einen Blick auf die klingenden Saiten in den Mauernischen, ehe er Tahâmas Drängen folgte. Leise murrend folgte er den beiden zum Gästehaus hinüber. »Das Licht hält den Lord und sein

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