Die Seele der Nacht
Gesellschaft kräftiger, gedrungener Gestalten mit ihren lauten Stimmen und dem derben Gelächter.
Andrej ow schob Tahâma von sich, drehte sie zweimal um ihre Achse und fing sie dann sicher wieder auf. Nur mühsam löste sie ihren Blick von seinen Augen, die sich keinen Augenblick von ihr wandten. Sie sah zu Lonathâ hinüber, die sich zu dem Erdgnom hinuntergebeugt hatte und über seine Erzählungen herzlich lachte. Wo aber war Céredas? Sie sah sich um, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Andrejow wirbelte sie herum, bis ihre Wangen sich rosig färbten und ihre Brust sich unter den Atemstößen schnell hob und senkte. Nun waren auch die Musiker erschöpft und gönnten sich eine kurze Pause, um einen Humpen Bier zu leeren. Andrejow führte Tahâma zu Lonathâ und Wurgluck zurück.
»Wo ist Céredas?«, fragte sie.
Der Erdgnom sah sich erstaunt um und zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn nicht weggehen sehen. Sicher kommt er gleich wieder.«
Die Spielleute griffen gerade wieder zu ihren Instrumenten, als plötzlich alle Fackeln in den Wandhaltern erloschen. Ein kalter Windhauch wirbelte durch die Gaststube. Eine Frau schrie auf. Tahâma konnte ihn spüren, noch ehe er die Tür aufstieß und die Schwelle überschritt. Sie hörte ein Flüstern in ihrem Kopf und fühlte es eisig durch ihre Adern rinnen. Mit zitternden Händen griff sie nach ihrem Stab. Sie wollte ihn nicht ansehen, aber sie konnte nicht anders. Der Schattenlord, mehr als sechs Fuß groß und hager, schien den ganzen Raum auszufüllen. Sein eingefallenes Gesicht war von tödlicher Blässe, die tief liegenden Augen schimmerten wie Rubine. Seine Konturen flossen wie Nebel, der silbrig über den Boden kroch. Alle Anwesenden standen da wie erstarrt. Keiner konnte oder wollte sich rühren. Tahâma war es, als könne sie die Angst der Nazagur riechen.
Etwas wie ein Lächeln auf den schmalen grauen Lippen, trat der Lord lautlos einige Schritte vor. Er hob den Arm. Eine weiße Hand mit langen knochigen Fingern und krallenartigen Nägeln schob sich unter dem schwarzen Umhang hervor. Ein roter Kristall blitzte an seinem Ringfinger. Sein Zeigefinger deutete auf die Braut, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. »Komm her«, sagte er leise. Die Stimme schien nicht aus seinem Mund zu kommen. Die Worte waren einfach da und schwebten wie ein Eishauch durch den Raum.
Das Mädchen sah ihn aus braunen Augen an und ging langsam, wie steifbeinig auf ihn zu. Es war, als bewege allein seine Macht sie vorwärts. Dann stand sie in ihrem Brautgewand vor ihm, den Blick wie gebannt zu ihm erhoben. Der Kranz fiel hinab. Noch ehe er den Boden berührte, war das frische Frühlingsgrün verdorrt. Braune Blattstücke wehten davon. Die tote Hand strich an dem Mädchenkörper entlang, ohne ihn zu berühren. Die Braut gab keinen Laut von sich, doch die Todesangst stand in ihrem Blick und sprach aus ihrem ganzen Körper. Gierig schien er ihre Panik in sich aufzusaugen. Eine seiner Krallen streifte ihren Hals.
Wir wissen noch immer nicht, wie er seine Opfer tötet, kam es Tahâma in den Sinn. Aber was geschah mit dem Schattenlord? Wurden seine Konturen nicht mit jedem Augenblick schärfer? Wuchs er nicht weiter zur Decke empor?
»Starke Gefühle«, hauchte Wurgluck neben ihr. »Angst und Panik sind sein Lebenselixier!«
Ein Laut wehte durch den Raum, ein Lachen, grausam und kalt. Der Bräutigam hob seine Hände, reckte die Arme vor, doch er schien außerstande, auch nur einen Schritt zu tun. Ein Schluchzer entrang sich seiner Kehle. Vom Grauen geschüttelt, sank er in sich zusammen und bedeckte seine Augen mit zitternden Händen. Tahâma fühlte, dass das Mädchen schwächer wurde. Ihr Lebensmut zerrann.
»Will denn niemand etwas tun?« Wurgluck ächzte.
Da regte sich etwas in Tahâma. Eine ungekannte Kraft fegte mit einem Feuerstrahl die lähmende Kälte in ihrem Innern hinweg. Sie riss den Stab heraus und sprang nach vorn. Die Töne fügten sich von allein zu einer Melodie, der Kristall leuchtete auf. Sein gleißendes Licht erfasste den Lord und dessen Opfer. Geblendet kniff er für einen Moment die Augen zusammen und wich zwei Schritte zurück. Seine Krallenhände fuhren abwehrend in die Höhe. Wie eine Puppe fiel die Braut zu Boden, aber der Lord von Tarî-Grôth beachtete sie nicht. Seine roten Augen erfassten Tahâma, die mit ausgestrecktem Arm vor ihm stand.
Die Zeit verharrte still. Es gab nur noch diese Augen und die Kälte, die nach Tahâma griff und
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