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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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anderer Weise. Kein Zweifel, dort unten mussten die Verliese sein.
    Nach zwei weiteren Windungen schimmerte ein blasser rötlicher Schein auf den roh behauenen Wänden, der mit jeder Biegung heller wurde. Endlich erreichte der Erdgnom den Grund. Ein kleiner, felsiger Platz tat sich vor ihm auf. Neben der Treppe steckte eine Fackel in einem Wandhalter und beleuchtete drei Gänge, die sich bald in der Schwärze verloren. An der Wand stand eine Kiste mit Lampen, Seilstücken und bündelweise Pechfackeln. Wurgluck wog eine der Lampen in der Hand und sah zu der brennenden Fackel hoch über sich auf. Nein, nicht einmal wenn er auf die Kiste steigen würde, könnte er sie erreichen. Bedauernd legte er die Lampe wieder zurück.
    Er näherte sich dem ersten Gang und lauschte in die Schwärze, dann versuchte er es mit dem zweiten. Obwohl er seine Augen anstrengte und schnüffelnd die Nase hob, konnte er nichts wahrnehmen, nur undurchdringliche Finsternis. Beim dritten Gang aber glaubte er ein Geräusch zu hören. Klang das wie Schritte? Ein Räuspern? Ein leises Wehklagen? Er war sich nicht sicher, doch er tastete sich langsam in den Gang hinein. Der Geruch von Angst und Leid wurde stärker. Bald fühlte er Gitterstäbe unter seinen Fingern, die Zellen dahinter schienen jedoch leer.
    Wurgluck kam um eine Biegung. Nun flackerte vor ihm wieder ein Lichtschein. Nach einer weiteren Biegung war zur Linken eine Kammer ausgespart, in der im Fackelschein ein Tisch und zwei Stühle standen. Sicher der Platz für die Wächter, aber er war leer. An der linken Seite reihten sich Gitterzellen, jede kaum drei Schritte breit. Wozu sollte ein derart ausgedehntes Verlies dienen? Ein Schauder rann über Wurglucks Rücken. Er konnte den Schrecken nicht fassen, der sich dort in einem Winkel seiner Ahnung wie Nebel zu verdichten schien, und er wollte ihn auch gar nicht näher erfahren.
    Der Erdgnom passierte eine leere Zelle nach der anderen, während das Licht hinter ihm langsam schwächer wurde, und dann endlich fand er, was er gesucht hatte. Seine Finger umschlossen die eisernen Gitterstäbe. Seinen Lippen entfuhr ein leiser Seufzer.
    Céredas saß auf dem Boden, den Rücken gegen die raue Wand gelehnt, den Kopf in beide Hände gestützt. Sein schwarzes Haar fiel ihm über das Gesicht, so dass seine Züge verborgen blieben. Er regte sich nicht. Schlief er? War er verletzt?
    »Céredas!«
    Beim Klang seines Namens sprang der Jäger auf, seine Hand fuhr an die Seite, aber da war keine Axt. Sein Gesicht war vor Anspannung verzerrt, in seinen braunen Augen spiegelte sich etwas, das den Erdgnom erschreckte.
    »Céredas!«, sagte er noch einmal.
    Der seltsame Ausdruck verschwand, sein Gesicht glättete sich. Céredas kam zum Gitter und ließ sich auf die Knie sinken, um auf gleicher Höhe mit dem Erdgnom zu sein. »Wie kommst du an diesen Ort des Schreckens? Wo ist Tahâma?«
    Wurgluck holte tief Luft. Wo in all diesem Durcheinander sollte er beginnen? »Hast du den Schattenlord in die Stadt gelassen?«, platzte er heraus. Céredas hob nur die Augenbrauen. »Denn das werfen sie dir vor, falls du es noch nicht weißt«, fügte das Männchen hinzu.
    Der Jäger nickte, aber Wurgluck hätte nicht sagen können, ob er Céredas etwas Neues verraten hatte.
    »Nun sag schon«, drängte er, »oder glaubst du, ich bin einfach so auf einen Becher Met heruntergekommen?«
    »Ich wundere mich sowieso, dass ich einen von euch noch einmal wiedersehe, denn ich befürchte, der Alte will mich hier dem Vergessen überlassen oder unauffällig unter einen dieser Krummsäbel bringen.«
    »Du meinst den Weisen der Stadt?«
    Céredas nickte. »Ja, ihn, der mich gelähmt und gepackt hat und dann von seinen Wachen hier herunterschleifen ließ.«
    Wurgluck holte tief Luft. »Centhân da Senetas, den sie den Weisen der Stadt nennen, ist Tahâmas Großvater.«
    »Das war es also, was mich an seinem Aussehen irritiert hat! Feine Verwandte hat sie«, schimpfte Céredas. »Der Mann ist verrückt! Seine Behauptungen sind einfach unglaublich, aber wenn er sagt, er hätte mich auf frischer Tat ertappt, wird ihm niemand widersprechen.«
    »Doch, Tahâma wird es tun. Sie brennt darauf, ihren Großvater von deiner Ehre und Aufrichtigkeit zu überzeugen. Sie wäre jetzt ebenfalls hier, wenn das Loch in der Rückwand des Kamins nur ein wenig größer ausgefallen wäre.«
    Céredas’ Wangen hatten sich bei diesen Worten des Erdgnoms rosig verfärbt, nun aber presste er wieder unwillig die

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