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Die Seele des Feuers - 10

Die Seele des Feuers - 10

Titel: Die Seele des Feuers - 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Goodkind
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stürzen, bis sie eine alte Frau wäre, und dann noch ein wenig länger. Sie wußte, der Gedanke war töricht, in diesem Augenblick jedoch erschien ihr die Vorstellung sehr real und jagte ihr einen heftigen Schrecken ein.
    Die Tür des Aborts knarrte, als sie sie aufzog. Sie machte sich keine Hoffnungen, denn sie wußte, Julian war nicht dort.
    Und sie behielt Recht.
    Mit diesen Gefühlen lag sie des öfteren richtig. Julian behauptete, es sei dumm von ihr zu glauben, sie besitze irgendwelche geistigen Kräfte, die ihr Dinge verrieten, so wie die alte Frau, die oben in den Bergen hauste, aus denen sie herunterstieg, sobald eine Ahnung sie überkam und sie glaubte, den Menschen davon erzählen zu müssen.
    Manchmal aber wußte Nora Dinge. Sie hatte gewußt, daß Julian nicht im Toilettenhäuschen sitzen würde.
    Schlimmer noch, sie wußte, wo er sich befand, und dieses Wissen machte ihr eine Heidenangst. Sie hatte nur deshalb im Abort nachgesehen, weil sie gehofft hatte, sie irre sich.
    Jetzt aber mußte sie an einen anderen Ort nachsehen gehen.
    Nora hielt die Lampe nach vorn und versuchte, den Pfad hinunterzublicken; weit konnte sie nicht sehen. Den Pfad entlang stapfend, drehte sie sich um und blickte zum Haus zurück. Sie konnte das Fenster erkennen, denn das Feuer brannte gut. Die Birkenscheite hatten Feuer gefangen, und die Flammen gaben reichlich Licht.
    Es war, als grinste ihr aus der tiefschwarzen Nacht zwischen ihr und dem Haus ein Gefühl entsetzlicher Niedertracht entgegen. Das Tuch fest um ihren Körper gerafft, leuchtete Nora abermals vor sich über den Pfad. Die Vorstellung, die Kinder zurückzulassen, behagte ihr überhaupt nicht. Nicht, wenn dieses Gefühl sie überkam.
    Doch irgend etwas zog sie weiter, den Pfad hinunter.
    »Bitte, Gütige Seelen, gebt, daß ich eine törichte Frau mit törichten Ansichten bin. Bitte, Gütige Seelen, gebt, daß Julian in Sicherheit ist. Wir alle brauchen ihn. Gütige Seelen, wir brauchen ihn.«
    Schluchzend lief sie hügelabwärts, schluchzend, weil sie sich so sehr davor fürchtete, die Wahrheit zu erfahren. Ihre Hand mit der Lampe zitterte, und die Flamme flackerte nervös.
    Endlich vernahm sie das Geräusch des Baches und atmete erleichtert auf, denn jetzt war die Nacht nicht mehr ganz so totenstill und beängstigend leer wie gerade eben noch. Jetzt, da sie das Wasser hörte, ging es ihr sofort besser, denn plötzlich war dort draußen etwas, etwas Vertrautes. Sie begann, sich albern vorzukommen, weil sie geglaubt hatte, jenseits des Scheins der Lampe sei die Welt zu Ende, ganz so, als stünde sie am Rand der Unterwelt. Genauso konnte auch alles andere ein Irrtum sein. Bestimmt würde Julian, wie es seine Art war, die Augen verdrehen, wenn sie ihm erzählte, sie habe sich gefürchtet, weil ihr die Welt jenseits des Lichts so leer erschienen war.
    Um ihr Unbehagen zu vertreiben, versuchte sie wie ihr Julian zu pfeifen, doch ihre Lippen waren so trocken wie altbackener Toast. Sie hätte gerne gepfiffen, damit Julian sie hörte, brachte aber keinen vernünftigen Ton heraus. Auch hätte sie einfach nach ihm rufen können, doch davor hatte sie Angst. Sie hatte Angst, keine Antwort zu erhalten. Lieber wäre ihr, einfach auf ihn zu stoßen und sich für ihre alberne, grundlose Heulerei ausschimpfen zu lassen.
    Eine leichte Brise ließ das Wasser plätschernd gegen das Seeufer schlagen, daher hörte sie es, noch bevor sie es sah. Sie hoffte, Julian dort auf seinem Baumstumpf sitzen zu sehen, wo er, eine Angelschnur in der Hand, darauf wartete, daß ein Karpfen für sie anbiß. Sie hoffte zu sehen, wie er den Kopf hob und sie verwünschte, weil sie ihm die Fische verscheuchte.
    Auf dem Stumpf saß niemand. Die Schnur hing schlaff herab.
    Am ganzen Arm zitternd, hielt Nora die Lampe in die Höhe, um das zu sehen, weshalb sie hergekommen war. Tränen brannten ihr in den Augen, sie mußte blinzeln, um etwas erkennen zu können. Sie bekam nur schniefend Luft.
    Die Lampe höher haltend, stakste sie hinaus ins Wasser, bis es ihr in die Stiefel lief. Dann machte sie noch einen Schritt, bis das Wasser schließlich den Saum von Nachthemd und Unterkleid durchtränkte und deren volles Gewicht mit jedem Schritt und jeder Wellenbewegung hin und her gezogen wurde.
    Als ihr das Wasser bis an die Knie reichte, sah sie ihn.
    Er trieb mit dem Gesicht im Wasser, die Arme schlaff an den Seiten, die Beine leicht gespreizt. Die kleinen, von der Brise erzeugten Wellen schwappten über seinen

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