Die Seele des Feuers - 10
sittlichem Charakter wäre. Einem Neuling konnten sie den Thron verwehren.
Nach Bertrands Ernennung zum Herrscher würde es keine Rolle mehr spielen, was sie dachten, vorher jedoch ganz bestimmt.
Claudine mußte zum Schweigen gebracht werden.
»Wo willst du hin, Dalton?«
Er wandte sich an der Tür um. »Ich muß noch eine Nachricht verfassen und diese dann abschicken. Es wird nicht lange dauern.«
18. Kapitel
Nora, in dem Glauben, es müsse längst hell sein, räkelte sich stöhnend. Unbeholfen tasteten sich ihre Gedanken durch den verschwommenen Zustand zwischen Schlaf und Wachen. Nichts hätte sie lieber getan als weiterzuschlafen. Das Stroh unter ihr lag genau richtig; es lag stets dann genau richtig zu bequemen, kuscheligen Klumpen gebündelt, wenn es Zeit war aufzustehen.
Jeden Augenblick erwartete sie von ihrem Mann einen Klaps aufs Hinterteil. Julian wachte immer kurz vor dem ersten Tageslicht auf. Die täglichen Arbeiten mußten erledigt werden. Wenn sie sich ganz still verhielt, würde er sie vielleicht noch ein paar Augenblicke liegen und ein paar verträumte Minuten länger schlafen lassen.
In diesem Augenblick haßte sie ihn dafür, daß er stets vor dem Hellwerden wach wurde, ihr einen Klaps auf den Hintern gab und ihr sagte, sie solle aufstehen und sich an ihr Tagwerk machen. Zu allem Überfluß mußte der Mann auch noch gleich als erstes pfeifen, wenn sie morgendlich benommen im Kopf und wackelig auf den Beinen war vor lauter Schlaf, den sie erst noch vertreiben mußte.
Sie wälzte sich träge auf den Rücken, zog ihre Brauen hoch und versuchte wach zu werden, indem sie gewaltsam ihre Augen aufriß. Julian lag nicht neben ihr.
Ein Kribbeln fuhr ihr in die Eingeweide und machte sie in einem einzigen, eiskalten Augenblick hellwach. Sie setzte sich im Bett auf. Aus irgendeinem Grund versetzte sie seine Abwesenheit in einen Zustand bestürzten Unwohlseins.
War es schon Morgen? Kurz vor dem Hellwerden? War es noch immer irgendwann mitten in der Nacht? Ziellos suchte ihr Verstand nach etwas, an das er sich klammern konnte.
Sie beugte sich vor und sah das Glimmen der Scheite, die sie vor dem Schlafengehen in der Feuerstelle aufgeschichtet hatte. Ein paar ganz oben glühten noch, sie waren kaum in sich zusammengefallen und lagen noch fast so, wie sie sie am Abend hingelegt hatte. In ihrem schwachen Schein erblickte sie Bruce, der von seinem Strohlager zu ihr herüberspähte.
»Mama? Was ist passiert?« fragte seine ältere Schwester Bethany. »Wieso seid ihr zwei schon wach?«
»Wir sind doch gerade erst ins Bett gegangen, Mama«, wimmerte Bruce. Es stimmte, wie sie jetzt erkannte. Sie war so müde, so todmüde von der
Steineschlepperei aus dem Frühlingsfeld den ganzen Tag lang, daß sie eingeschlafen war, bevor sie die Augen richtig hatte schließen können. Sie waren nach Hause gekommen, als es zu dunkel war, um noch weiterzuarbeiten, hatten ihre Hafergrütze hinuntergeschlungen und waren sofort zu Bett gegangen. Sie hatte noch den Geschmack des Eichhörnchenfleisches aus der Hafergrütze im Mund, und die jungen Radieschen stießen ihr noch immer auf. Bruce hatte Recht, sie waren eben erst ins Bett gegangen.
Ein ängstliches Beben ging durch ihren Körper. »Wo ist dein Vater?«
Bethany zeigte zur Tür. »Er ist zum Klo, glaube ich. Mama, was ist geschehen?«
»Mama?« wimmerte Bruce.
»Still jetzt. Wird schon nichts sein. Legt euch wieder hin, alle beide.«
Die beiden Kinder sahen sie aus großen Augen an. Sie konnte sich ihre Unruhe nicht recht erklären. Die Kinder sahen sie ihr im Gesicht an, das wußte sie, trotzdem konnte sie sie nicht verbergen, so sehr sie sich auch bemühte.
Sie wußte nicht, was nicht in Ordnung war, woher die Besorgnis rührte, trotzdem spürte sie ganz deutlich, wie sie eine Gänsehaut bekam.
Das Böse.
Das Böse hing in der Luft wie der Rauch eines Holzfeuers, ließ sie die Nase rümpfen und raubte ihr den Atem. Das Böse. Irgendwo dort draußen in der Nacht lauerte das Böse.
Wieder fiel ihr Blick auf das leere Bett neben ihr. Er war zum Klo gegangen. Julian war im Toilettenhäuschen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Nora fiel ein, wie er gleich nach dem Essen zum Abort gegangen war, vor dem Schlafengehen. Was nicht bedeutete, daß er nicht noch einmal gegangen sein konnte. Dabei hatte er gar nichts von Schwierigkeiten erwähnt.
Die Bestürzung zerriß sie innerlich, wie die Furcht vor dem Hüter höchstpersönlich.
»Gütiger Schöpfer,
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