Die Seele des Feuers - 10
beschütze uns«, flehte sie leise. »Beschütze uns und dieses Haus mit seinen bescheidenen Bewohnern. Jag das Böse fort. Bitte, Gütige Seelen, wacht über uns und verwahrt uns sicher.«
Nach dem Gebet öffnete sie die Augen. Die Kinder starrten sie noch immer an. Bethany spürte es wohl ebenfalls. Sie gab sich nie zufrieden, ohne nach dem Warum zu fragen. Nora nannte sie aus Spaß das ›WarumKind‹. Bruce saß einfach da und zitterte.
Nora warf die Wolldecke zur Seite. Die Hühner in der Ecke bekamen es mit der Angst, flatterten erschrocken auf und gaben ein überraschtes Gackern von sich.
»Legt euch doch schlafen, Kinder.«
Sie legten sich wieder hin, sahen ihr aber zu, wie sie, sich hin und her windend, ein Unterhemd über das Nachthemd streifte. Zitternd, ohne zu wissen warum, kniete sie auf den Ziegelsteinen vor der Feuerstelle nieder und stapelte Birkenscheite auf die Glut. Im Grunde war es überhaupt nicht kalt – sie hatte mit dem Gedanken gespielt, die Glut über Nacht ausgehen zu lassen –, aber plötzlich verspürte sie das Bedürfnis nach einem behaglichen Feuer, nach dem Gefühl von Sicherheit, das seine Helligkeit vermittelte. Sie holte ihre einzige Öllampe neben der Feuerstelle hervor. Mit einem Stück eingerollter Birkenrinde entzündete sie rasch den Lampendocht und stülpte den Zylinder wieder darüber. Die Kinder beobachteten sie noch immer.
Nora bückte sich und gab dem kleinen Bruce einen Kuß auf die Wange. Sie strich Bethanys Haar zurück und küßte ihre Tochter auf die Stirn. Sie schmeckte nach dem Staub, in dem sie den ganzen Tag zugebracht hatte, als sie dabei geholfen hatte, die Steine vom Feld zu schleppen, bevor es gepflügt und bepflanzt wurde. Sie konnte zwar nur kleine Steine tragen, trotzdem war es eine Hilfe.
»Schlaft weiter, meine Kleinen«, versuchte sie sie zu beruhigen. »Pa ist kurz zum Klo gegangen. Ich bringe ihm nur rasch eine Lampe, damit er den Weg zurück findet. Ihr wißt doch, wie euer Pa sich des Nachts die Zehen stößt und uns dann dafür verwünscht. Geht wieder schlafen, alle beide. Es ist alles in Ordnung. Ich bringe eurem Pa nur eine Lampe.«
Nora schob ihre Füße in die kalten, nassen, schlammverkrusteten Stiefel, die sie neben der Tür abgestellt hatte. Sie wollte sich nicht die Zehen stoßen und dann am nächsten Tag mit einem lahmen Fuß arbeiten müssen. Nervös hantierte sie mit einem Tuch herum, legte es sich um die Schultern und zupfte es übertrieben ordentlich zurecht, bevor sie es verknotete. Sie hatte Angst, die Tür aufzumachen, und war den Tränen nahe, so sehr sträubte sie sich, diese Tür in die Nacht hinein zu öffnen.
Dort draußen lauerte das Böse. Sie wußte es, konnte es spüren.
»Dafür sollst du in der Hölle schmoren, Julian«, murmelte sie im Flüsterton. »Dafür sollst du in der Hölle schmoren, bis du knusprig bist, weil du mich zwingst, in dieser Nacht das Haus zu verlassen.«
Sie überlegte, ob er sie, wenn sie ihn im Toilettenhäuschen sitzend vorfand, wegen ihrer törichten, weibischen Angewohnheiten verwünschen würde. Manchmal tat er das und behauptete, sie mache sich sinnlos Sorgen wegen nichts. Behauptete, bei ihrer Sorgenmacherei käme ohnehin nichts herum, wieso tue sie es dann? Bestimmt nicht, um sich sein Gefluche anzuhören, soviel stand jedenfalls fest.
Als sie den Riegel hochhob, redete sie sich ein, wie sehr sie wünschte, er möge heute nacht draußen im Toilettenhäuschen sitzen und sie verwünschen, anschließend den Arm um ihre Schultern legen und ihr sagen, sie solle zu weinen aufhören und wieder zu ihm ins Bett kommen. Sie brachte die Hühner zum Schweigen, die protestierten, als sie die Tür aufmachte.
Es schien kein Mond. Der wolkenverhangene Himmel war so schwarz wie der Schatten des Hüters. Schlurfend eilte sie über den festgetretenen Gartenweg zum Toilettenhäuschen. Mit zitternder Hand klopfte sie an die Tür.
»Julian? Julian, bist du da drinnen? Bitte, Julian, sag doch etwas, Ich flehe dich an, spiel mir keinen Streich, nicht heute nacht.«
Die Stille pochte ihr in den Ohren. Es gab keine Insekten, die Geräusche von sich gaben. Keine Grillen. Weder Frösche noch Vögel. Es herrschte einfach eine Totenstille, als bestünde die ganze Welt nur aus dem winzigen Stück Erde im Rund des Lampenscheins, der sie umgab und hinter dem nichts folgte, ganz so, als könnte sie die Lampe stehen lassen, hinaus in die Dunkelheit treten und durch die dahinterliegende Finsternis in die Tiefe
Weitere Kostenlose Bücher