Die Seele des Königs (German Edition)
Gewölbebogens. Es wird der Einzige sein, der unmittelbar auf seine Haut gepresst werden muss, aber er wird ein Gewebe aus Hunderten anderer Stempel verbinden.«
Shai griff zur Seite, nahm ihr Notizbuch heraus, in dem sich die ersten Zeichnungen der endgültigen Stempel befanden. » Ich werde diese hier nehmen und sie auf eine Metallplatte drücken; diese wird dann mit dem Stempel verbunden, den Ashravan jeden Tag von Euch erhalten muss. Es ist notwendig, dass die Platte stets in seiner Nähe ist.«
» Er muss eine Metallplatte mit sich herumschleppen«, meinte Frava trocken, » und er muss zusätzlich jeden Tag gestempelt werden? Da wird es für ihn schwierig sein, ein normales Leben zu führen, oder?«
» Ich nehme an, dass es für jeden Mann schwierig ist, ein normales Leben zu führen, wenn er Kaiser ist, oder? Ihr werdet es schon irgendwie schaffen. Am besten wäre es, wenn diese Platte irgendein Schmuckstück darstellen könnte, vielleicht ein großes Medaillon oder eine Armmanschette mit rechteckigen Seiten. Wenn Ihr Euch meine Wesenspräger anseht, werdet Ihr feststellen, dass sie auf die gleiche Weise hergestellt sind und das Kästchen eine Platte für jeden enthält.« Shai zögerte. » Aber so etwas wie das hier habe ich noch nie gemacht. Niemand hat Erfahrung darin. Es besteht die Möglichkeit – ich wage sogar zu sagen, es ist wahrscheinlich –, dass das Hirn des Kaisers mit der Zeit die Informationen in sich aufnehmen wird. Es ist ungefähr so, als würde man ein ganzes Jahr lang jeden Tag dasselbe Bild auf einen Papierstapel zeichnen; am Ende wird es sich bis in die unteren Schichten durchdrücken. Vielleicht wird der Kaiser diese Behandlung nicht mehr benötigen, wenn er einige Jahre lang gestempelt wurde.«
» Für mich ist das alles noch immer ungeheuerlich.«
» Schlimmer als der Tod?«, fragte Shai.
Frava legte die Hand auf Shais Notizbuch und die halbfertigen Zeichnungen. Dann nahm sie es an sich. » Ich werde es von unseren Schreibern kopieren lassen.«
Shai erhob sich. » Ich brauche es.«
» Dessen bin ich mir sicher«, meinte Frava. » Und genau aus diesem Grund sollte es kopiert werden – für alle Fälle.«
» Das würde zu lange dauern.«
» Du wirst es innerhalb eines Tages zurückbekommen«, sagte Frava leichthin und machte einen Schritt zurück. Shai streckte die Hände nach dem Buch aus, aber Hauptmann Tzu trat vor und hatte sein Schwert schon zur Hälfte aus der Scheide gezogen.
Frava wandte sich ihm zu. » Aber, aber, Hauptmann. Das wird nicht nötig sein. Die Fälscherin will nur ihre Arbeit beschützen. Und das ist gut. Es zeigt, dass sie sich mit ganzer Kraft einsetzt.«
Shai und Tzu richteten die Blicke aufeinander. Er will mich tot sehen , dachte Shai. Unbedingt . Inzwischen hatte sie ihn durchschaut. Es war seine Pflicht, den Palast zu bewachen, in den Shai bei ihrem Beutezug eingedrungen war. Tzu hatte sie nicht geschnappt; es war der kaiserliche Narr gewesen, der sie zu Fall gebracht hatte. Nun fühlte sich Tzu unsicher wegen seines Versagens, und deshalb wollte er Shai beseitigen – gleichsam als Wiedergutmachung.
Schließlich wandte Shai den Blick von ihm ab. Auch wenn es sie ärgerte, musste sie doch in dieser Sache die Unterlegene spielen. » Seid vorsichtig«, warnte sie Frava. » Nicht ein einziges Blatt darf verloren gehen.«
» Ich werde das Buch beschützen, als … als hinge das Leben des Kaisers davon ab.« Frava schien ihre Bemerkung für witzig zu halten und grinste Shai an. » Hast du dir über die andere Angelegenheit, die wir besprochen haben, Gedanken gemacht?«
» Ja.«
» Und?«
» Ja.«
Fravas Grinsen wurde noch breiter. » Wir werden bald wieder miteinander reden.«
Frava verließ das Zimmer mit dem Buch in der Hand – dem Gegenwert der Arbeit von zwei Monaten. Shai wusste genau, was die Frau vorhatte. Frava wollte das Buch nicht kopieren lassen; sie wollte es ihrem zweiten Fälscher vorlegen und ihn fragen, ob er diese Arbeit beenden konnte.
Wenn er es bejahte, würde Shai in aller Stille hingerichtet werden, bevor die übrigen Schlichter etwas dagegen einwenden konnten. Vermutlich würde Tzu es höchstpersönlich erledigen. Nun könnte alles zu einem Ende kommen.
TAG NEUNUNDFÜNFZIG
I n jener Nacht schlief Shai schlecht.
Sie war sich sicher, dass ihre Vorbereitungen gründlich gewesen waren. Doch jetzt musste sie mit einer Schlinge um den Hals abwarten. Und das machte sie nervös. Was war, wenn sie die Situation falsch
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