Die Seele des Ozeans (German Edition)
später komme ich dahinter.“
In tiefer Verwirrung stapfte sie zurück zum Haus. Dort schaffte sie ein paar Dinge nach draußen: Einen kleinen Tisch, einen Stuhl, einen Stapel Papier, ihren Laptop und ein Sammelsurium an Windlichtern. All das baute sie im Sand etwa zehn Schritt von der Brandung entfernt auf, zündete die Kerzen an, positonierte den Laptop auf dem Tisch, schaltete ihn ein und setzte sich. Wenn sie sich jetzt nicht ablenkte, würde ihr Gehirn in Rauch aufgehen, weil es diese Augen, diese Haut und dieses Verhalten in kein sinnvolles Muster einfügen konnte.
Das Silber des Himmels fand sein Zwillingsbild in der ruhigen Wasserfläche. Noch während Fae brodelnd vor Wut und Verwirrung dort hinausblickte und sich fragte, wie sie die Geschichte beginnen sollte, kam von Norden her Wind auf. Zuerst kräuselte er den blanken Spiegel des Meeres nur zaghaft, spielte ein wenig mit ihm, neckte und streichelte ihn, bis er seines liebevollen Tanzes überdrüssig wurde und wieder so ruppig mit den Elementen umging, wie man es in Irland gewohnt war.
Die Wolken rissen auf und stürmten gehetzt über den Strand ins Landesinnere. Ein Wind strömte über Faes Gesicht, dessen Kälte sie nur noch in ihrer Erinnerung spürte. Sie genoss das Flattern ihres Haares, holte tief Luft und begann zu tippen.
Hemmungslos flogen ihre Finger über die Tasten. Wenn Kjell ihr sein Geheimnis nicht verriet, würde er eben zum hilflosen Opfer ihrer Fantasie werden.
Mein Blut ist die Finsternis der kalten Tiefen.
Mein Fleisch die Unsterblichkeit der See.
Ein Blick in meine Augen, und du stirbst.
Komm nach Hause. Wirklich nach Hause.
Ich warte auf dich. Bin ganz nah. Warte hinter dem Felsen, den das Licht des Leuchtturms gerade noch berührt. Ich beobachte dich.
Jeden Abend, wenn du an den Strand kommst. Kranke, blasse Menschenfrau.
Wie du im Sand sitzt und traurig in die Ferne blickst.
Ich spüre deine Sehnsucht nach dem Tod.
Sie macht mich traurig und glücklich. Ist es nicht so, als sehntest du dich nach mir? Als würdest du auf mich warten? Ich wünschte, es wäre so.
Fae wischte sich mit der rechten Hand eine Träne von der Wange, während sie mit der linken weitertippte. Eine lang vermisste Leidenschaft erfasste sie wie eine wilde Strömung und riss sie mit sich fort. Ihr Herz klopfte immer schneller, ihre Finger huschten zitternd über die Tasten. Sie schrieb und schrieb, und als sie die Buchstaben kaum mehr erkennen konnte, blickte sie ungläubig auf und sah, dass es bereits Abend geworden war. Ein safrangelber Mond ging über den Wellen auf.
Wieder war es windstill geworden. Die Luft war kalt und klar, der Spiegel des Meeres makellos glatt. Weit draußen sah Fae, gerade im Moment des Aufblickens, wie eine helle Fontäne in den Himmel hinaufstieg und zu einem Nebelstreifen zerstob.
„Pottwal“, sagte eine Stimme direkt neben ihr. „Ein gutes Zeichen. Mal sehen, ob wir ihn mit unserer Kamera erwischen.“
Fae fuhr herum. Alexander stand wie aus dem Nichts neben ihr, roch nach einem Dutzend Joints und zwinkerte ihr zu. Auf seinen Schultern trug er eine lange Kiste, hinter ihm mühten sich Ukulele und Henry mit weiteren Gepäckstücken ab. Sie musterte die große Kamera, die auf den Schultern des Hawaiianers lag und ihm gequälte Seufzer abnötigte.
„Ihr wollt filmen? Jetzt?“
„Wir wollen zum Wrack“, erklärte Alexander, während seine Freunde keuchend und ächzend zum Wagen schlurften. „Das Wetter ist grandios, wenn man bedenkt, dass wir September haben. Aber grandios ist es nur noch für zwei Tage. Wenn wir heute Nacht losfahren und alles vorbereiten, können wir bei Sonnenaufgang tauchen. Morgen Abend sind wir wieder zurück, und ich will, dass du mitkommst.“
Er wollte, dass sie mitkam? Bitte was? Normalerweise wäre sie ihm jetzt vor Dankbarkeit um den Hals gefallen, aber diesmal zuckte sie nur mit den Schultern und wandte sich wieder dem Wasser zu. Der Himmel färbte sich kupferrot, die untergehende Sonne versteckte sich hinter violetten und lachsfarbenen Wolkenbergen. Irgendwo dort draußen tauchte ein Pottwal in die Tiefe. Irgendwo dort draußen lag ein Geheimnis, das ihren Verstand zu einem Duell herausforderte.
„Nein“, antwortete sie. „Ich bleibe hier.“
„Was?“ Alexander tippte sich an das Ohr. „Ich muss mich verhört haben. Hast du gerade gesagt, du bleibst hier?“
„Ich bleibe hier“, wiederholte sie.
„Das geht nicht. Dieser Kerl könnte wiederkommen.“
Fae gab ein
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