Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seele des Ozeans (German Edition)

Die Seele des Ozeans (German Edition)

Titel: Die Seele des Ozeans (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
Vom Netzwerk:
über den Tasten in Position. In der Ferne erklang ein kaum wahrnehmbares Zischen. Wieder stieg eine bleiche Säule über dem Horizont auf, zerstob und wurde fortgeweht. Der Pottwal war nicht getaucht. Er schwamm dort draußen, vor ihrem Strand, und wartete. Auf was?
    Oder auf wen?
    „Wie wäre es“, sagte Fae in die anbrechende Nacht hinaus, „wenn du mir deine Geschichte erzählst? Komm zu mir. Rede mit mir.“
    Die Wellen liefen am Strand aus und ließen eine spiegelnde Fläche zurück. Kleine Schneckenhäuser rollten im Sog des zurücklaufenden Wassers durch den Sand. Der monotone Rhythmus der Brandung schien eine Sprache zu sein. Ein Flüstern und Raunen, das nur für sie bestimmt war.
    Hör mir zu. Schschsch, Fae … höre zu …
    Ich erzähle dir alles, was du willst.

~ Kjell ~
    Warum tat er das? Warum kam er nicht los von ihr?
    Mit gleichmäßigen Flossenbewegungen hielt sich Kjell über Wasser, obwohl die Vernunft in ihm verlangte, stillzuhalten und in die Tiefe zu sinken. Es tat weh, Fae anzusehen. Innerlich, weit unter dem Fleisch. Eine weitere Wahrheit, die er nicht begriff.
    Wie gut waren ihre Augen? Ob sie ihn sah, hier draußen weit vor dem Strand, gerade so nah, dass er ihr Gesicht in der Ferne als bleichen Schimmer im Abendlicht erkennen konnte? Nein, Menschenaugen waren stumpf. Kaum besser als die eines Schlafhais. Neben ihm stieß der Pottwal seinen Blas aus. Das laute Zischen hallte über das Meer, ein Nebel feiner Tröpfchen fiel auf ihn nieder. Wenn Fae ihn nicht sah, dann sicher diese helle Fontäne. Schon spürte er ihren Blick, neugierig und wachsam. Im schwindenden Licht suchte sie das Meer ab, wand sich auf ihrem Stuhl hin und her und sehnte sich. Er lauschte auf das ungewohnt schnelle Pochen seines Herzens, das in dieser Gestalt normalerweise so träge schlug wie das seines riesigen Freundes. Fae wartete darauf, dass er zurückkam. Kjell spürte diese Gewissheit wie einen Stachel in seinen Eingeweiden.
    Heute Morgen war sie vor ihm zurückgezuckt, weil seine Haut wie Eis war, genauso frostig wie sein Blut. Selbst, wenn sie nicht todkrank war, selbst wenn er es wagte, ein drittes Mal zu ihr zu gehen, würde sie ihn sicher nicht noch einmal anfassen wollen. Dabei hatte es sich so gut angefühlt. Faes Berührungen waren anders als alles, was er kannte. Nicht drohend, nicht schmerzhaft. Nicht fordernd oder wütend. Sondern sanft wie das Kitzeln von Seegras und warm wie Sonnenstrahlen. Es hatte ihn so sehr verblüfft, dass er völlig seine Angst vergessen hatte.
    Und dann, als er ihr Gesicht zwischen seine Hände genommen hatte, um in ihren überschäumenden Gefühlen zu schwelgen, war irgendetwas geschehen. Etwas, das ihr für mehrere Stunden das Bewusstsein geraubt und zugleich den Schatten des Todes von ihr genommen hatte. Wenn auch nur für die Dauer ihres tiefen Schlafes.
    Wieder stach der Dorn in seinen Magen und sorgte dafür, dass er sich wie bei einem starken Hungergefühl zusammenkrampfte. Vielleicht waren die Märchen in den Büchern gar keine Märchen. So wie die Geister verlorener Seelen wirklich existierten, war es ihm vielleicht möglich, Menschen durch seinen Blick oder seine Stimme zu beeinflussen, vielleicht sogar zu töten.
    Oder sie zu heilen?
    Kjell empfand eine unerklärliche Wut über diesen Gedanken.
    Nein, was sterben soll, das stirbt.
    Faes wütende, verwirrte Sehnsucht ließ ihn gequält aufstöhnen. Er spürte ihre Gefühle so deutlich, wie er die Beschaffenheit des Meeres und die Gefühle aller Lebewesen darin spürte.
    „Ich kann dir nichts geben“, flüsterte Kjell, als könnte sie ihn hören.
    „Ich kann dein Leben nicht retten. Wenn ich es könnte, würde ich es tun.“ Leise glucksend umspielte das Meer den Körper des Wales.
    Kjell seufzte. Er drehte und wand sich, wollte abtauchen und verschwinden, doch wieder und wieder zwang etwas seinen Blick zur Küste hin. Die Windlichter, die Fae angezündet hatte, glommen wie bunte Sterne in der Dunkelheit. Etwas ging von dieser Szene aus, das ihn gefangen nahm und nicht mehr losließ. In seinem Inneren brannte der Schmerz, als wäre er in einen Schwarm giftiger Quallen geraten.
    Erinnere dich! Was bedeutet die Menschenwelt für dich? Nichts Gutes. Nur Verzweiflung. Geh lieber dorthin, wo du deine Ruhe hast.
    Ja, es war das Vernünftigste. Aber dann dachte er an das Bild, das im Haus der Frau hing. Gemalt von Menschenhand, so farbenfroh und schön wie die Korallenriffe in den warmen Meeren. Niemand, dessen Seele

Weitere Kostenlose Bücher