Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seele des Ozeans (German Edition)

Die Seele des Ozeans (German Edition)

Titel: Die Seele des Ozeans (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
Vom Netzwerk:
schlecht war, konnte etwas so Herrliches erschaffen. Von dieser Sorte Menschen hatte Angus ihm nichts erzählt. Für ihn waren ausnahmslos alle schlecht gewesen.
    Was ist Böses an der Frau, Vater? Was ist schlecht an dem Menschen, der das Bild gemalt hat? Was ist mit den scheußlichen Dingen, die sie mir antun wollen? Ich lebe noch, und sie haben mir nichts getan.
    Zwecklose Fragen, unnütze Gedanken. Diese Frau würde sterben, und zwar bald. Wenn er diesem merkwürdigen Drängen in sich nachgab und wieder ihre Nähe suchte, konnte er sich ebenso gut von einem Treibnetz einwickeln lassen.
    Kjell wollte sich gerade in die Tiefe sinken lassen und seine wirren Gedanken vergessen, als etwas seinen Körper durchzuckte. Ein Gefühl, so grauenvoll und kalt, dass der Schrecken darüber seinen Körper lähmte. Etwas geschah in weiter Ferne. Aber es kam näher. Es suchte nach ihm.
    Er fühlte es im Wasser, in der eiskalten Strömung, die plötzlich an ihm zerrte, an dem Zittern seines Körpers und an der Starre seines Geistes. Es war eine an Wahnsinn grenzende Gier, ein gnadenloser Hunger nach Lebenskraft und Fleisch. Schlimmer als die verlorenen Seelen. Größer und mächtiger. Gegen die hungrigen Geister konnte er sich wehren, aber nicht gegen das, was weit hinter dem Horizont auf ihn wartete.
    Kjell konzentrierte sich auf dieses Gefühl, doch es entglitt ihm, kaum dass er es zu greifen bekam. Was war das gewesen? Ein besonders mächtiger Geist? Ein Wesen aus den dunklen Tiefen, das er noch nicht kannte? Furcht kroch durch seine Adern. Ganz gleich, was dieses Geschöpf war oder woher es stammte, seine Gier war größer als alles, was er je zuvor gefühlt hatte.

~ Breac ~
    In dieser Nacht fand er keinen Schlaf. Nicht einmal, nachdem er eine Handvoll Tabletten heruntergewürgt hatte. Etwas würde geschehen. Bald. In der Tiefe jagte das Ungeheuer ruhelos durch die Finsternis, sein Hunger wurde langsam zu verstandsloser Gier. Keine Dünung war es, die das Schiff hob und senkte, sondern die Druckwellen eines gigantischen Körpers, der sich unter dem Kiel bewegte. Hatte das Wesen eine Witterung aufgenommen? Spürte es die Nähe seines Opfers?
    Bitte, flehte er. Nicht noch eine vergebliche Hoffnung.
    Breac setzte sich im Bett auf und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Sei still! Reiß dich zusammen. Wenn ich deine Gier spüre, wird er sie allemal spüren. Du wirst ihn verjagen!
    Die Wut des Ungeheuers loderte in seinem Geist, aber es gehorchte. Lautlos zog es seine Bahnen, der Hunger nur noch eine dumpfe Regung hinter mühsam aufgebauter Beherrschung. Als Breac sicher war, den Seelenfresser unter Kontrolle zu haben, flüsterte er den Befehl: „Such ihn, mein Freund. Bring ihn zu mir.“
    Das Monster schoss in die Finsternis davon, zielstrebig wie ein Bluthund, der eine Fährte aufgenommen hatte. Breac wusste, dass er ein Ertrinkender war, der verzweifelt nach jedem Strohhalm griff. Aber Hoffnung war das Einzige, das ihm blieb. Aufgebracht raufte er sich die Haare. Sie würden erfolgreich sein, daran musste er glauben. Aber als er die Hände wieder sinken ließ, hielt er zwei graue Haarbüschel in den Fäusten.
    Finde ihn!, schrie er innerlich. Finde ihn endlich!
    Hustend rang er nach Atem. Längst schlug sein Herz nicht mehr regelmäßig, sondern stolperte und kämpfte wie ein angeschossenes Tier. Manchmal blieb es sogar sekundenlang stehen. Ob er an Herzversagen sterben konnte? War er dann wirklich tot oder blieb er einfach nur in diesem Körper gefangen und durfte zusehen, wie er verfaulte?
    Bring ihn zu mir! Beeil dich!
    Der Narwal wusste, wie man spielte und seine Verfolger an der Nase herumführte, aber Breac war über die Jahrhunderte zu einem perfekten Jäger geworden. Es war der größte Kampf seines Lebens. Ein Kampf mit einem würdigen Gegner, den er nicht verlieren würde. Alles, was er gelernt hatte, fand jetzt seine Bestimmung.
    Ruhelos schlurfte er aus seiner Koje und kämpfte sich die Treppe hoch. Heute Nacht war es besonders schlimm. Seine Knochen fühlten sich an wie morsches Holz. Auf dem Deck lehnte er sich über die Reling und füllte seine Lungen mit salziger Luft. Der Sternenhimmel der Arktis spiegelte sich im schwarzen Meer und ließ es funkeln. Gespenstisch knirschten und knackten die Schollen. Feine Kristalle wurden vom Wind über das Eis gejagt, ließen die Nacht wie verzaubert schimmern und glitzern.
    Wunderschön. Selbst nach all der Zeit.
    Während er in diese stille Welt hinausblickte,

Weitere Kostenlose Bücher