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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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mächtige Schiffe auf. Sie waren viel größer als die Fischerboote, die die Wale kannten, und jedes von ihnen trug viele Menschen auf sich. Die Fremden entdeckten die Narwale und begannen, sie zu jagen. Man tötete sie mit Harpunen, Lanzen und langen Messern, ganz gleich, ob Männchen oder Weibchen, ob jung oder alt. Besonders gierig waren die Menschen auf die Kinder des weißen Wals, denn ihr Horn war für sie kostbarer als Gold. Bald war keiner seiner Nachfahren mehr übrig. Die Herde wurde kleiner und kleiner. Der weiße Wal, selbst zu alt und zu schlau, um sich von den Menschen fangen zu lassen, erkannte seine Schuld am Tod seiner Kinder. Solange er bei der Herde war, würden sie niemals in Frieden leben können. So groß war die Gier der Menschen nach dem weißen Horn geworden, dass sie die Tiere inzwischen unaufhörlich verfolgten. Selbst in das stürmischste Meer und in die tückischsten Untiefen hinein.
    Also verließ der alte Narwal seine Familie, zog allein weiter und lockte die Menschen mit sich. An einer fernen Küste, weit weg von seiner Herde, ließ er sich von ihnen fangen. Niemals wieder sollte ein Kind von ihm geboren werden, ein Kind mit einem strahlend weißen Horn, nach dem die Menschen so sehr gierten.
    Man erlegte den Narwal, zog ihn auf eines der großen Schiffe und zerkochte seinen Speck zu Tran. Das prachtvolle Horn wurde in ein fernes Land gebracht und dem dortigen König übergeben. Viele Jahrzehnte wurde es von den Menschen bewundert, eingeschlossen in einer goldenen Vitrine. Bis ein großer Krieg ausbrach. Das Land versank in Blut, und jene Menschen, die den König getötet hatten, stahlen das Horn des weißen Narwals und brachten es zu ihrem Herrscher. Viele Königshäuser sah das Horn erblühen und fallen, in vielen Schatzkammern wurde es bewundert, bis niemand mehr wusste, was seine Geschichte war und woher es kam.
    So vergingen die Jahrhunderte, bis das Narwalhorn in Vergessenheit geriet und unter den Trümmern eines weiteren Krieges begraben wurde. Viele Menschenleben kamen und gingen, bis man das zerstörte Schloss, in dessen Schatzkammer das Horn verschwunden war, wieder neu aufbaute. Und während man die Trümmer beiseite räumte, die alte Pracht wieder neu errichtete und sich bis in die tiefsten Gewölbe vorarbeitete, fand man auch die verschollene Reliquie des Ozeans zwischen Schutt und Staub, brachte sie in ein berühmtes Museum und stellte sie in einer Glasvitrine aus. Außen befestigte man ein Schild, auf dem alles stand, was man über diese Kostbarkeit wusste: Narwalhorn. Um das Jahr 800. Herkunft unbekannt. “
    Ukulele ließ das Buch auf seinen Schoß sinken und seufzte. „Alexander hat recht. Dieses Buch ist deprimierend.“
    Fae lag reglos in Kjells Armen und spürte, wie ihre stillgelegten Gedanken wieder zu kreisen begannen. Warum war ihr Leben voller Zeichen und Hinweise? Erst dieses Gemälde, jetzt ein weißer Narwal. Wenn es Kjells Absicht war, ihr etwas anzutun, so wie man es seinesgleichen in vielen Legenden nachsagte, warum hatte er dann ihr Leben gerettet? Konnte er all diese Verwirrung und Furcht, all diese vorsichtige Sanftheit vortäuschen, während er seine ganz eigenen Ziele verfolgte?
    Alexanders Miene wurde so ernst und verschlossen wie die seines hawaiianischen Freundes. Geistesabwesend stand er auf, holte eine Schachtel Toffifee aus dem Schrank, öffnete sie und hielt sie Kjell vor die Nase.
    „Praline, Sardine?“
    „Was ist das?“
    „Karamellisierte Kuhaugen.“ Ukulele legte das Buch mit spitzen Fingern beiseite, als hätte er Angst, die Düsternis der Geschichten darin könnte an seiner Haut kleben bleiben. „Die sind noch besser als Kakao.“
    Fae wischte ihre düsteren Gedanken beiseite, als sie Kjells konfuse Miene sah. Nein, er war nicht gekommen, um ihr zu schaden. Unmöglich. Es sei denn, ihr Gespür versagte in jeder Hinsicht.
    „Blödsinn“, beruhigte sie ihn. „Glaub ihm kein Wort. Auf dem Schiff belagerten ihn mal zwei Kinder, die sich brennend für das Toffifee interessierten. Er erzählte ihnen, es seien karamellisierte Kuhaugen, um nicht teilen zu müssen.“
    „Und es hat funktioniert“, grunzte Henry. „Dämliche kleine Bälger.“
    „Fällt euch was auf?“, warf Alexander ein. „Ich höre keinen Protest. Das sind deine Lieblingspralinen, Ukulele, du teilst sie mit niemandem. Ich hatte erwartet, dass du mir in den Nacken springst oder mir zur Strafe die Dreadlocks abschneidest.“
    „Ich teile sie mit keinem

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