Die Seele des Ozeans
der gewaltige Körper des Pottwals wie ein Geist unter ihnen auftauchte.
„Wunderschön“, flüsterte Fae. „Henry, das ist wunderbar.“
„Danke“, hauchte er errötend.
Der Wal verschlang seine Beute, drehte seinen riesigen Körper im Wasser und begann mit einem seltsamen Tanz. Er bewegte sich behutsam, um die kleinen Taucher, die ihn umringten, nicht zu berühren.
Bin ich wirklich dort unten gewesen?
Ist das mein winzig kleiner Schatten?
Fae spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen. Ukulele atmete schwer, Alexander starrte mit offenem Mund auf das, was sich vor ihnen abspielte. Die Magie der Begegnung war selbst über den Bildschirm greifbar. Gemalt in kristallklaren Farben, jagten die wunderschönen Weißseitendelfine durch das Meer. Der Pottwal schwebte durch das Blau, während Alexander und Ukulele wie schwarze Punkte neben ihm schwammen. Begleitet von unwirklichen Klängen, tauchte Fae noch einmal im Meer, spielte mit den Delfinen, trieb mit Kjell in den eisigen Wellen und schmiegte sich an ihn. Ihre Gestalten schienen zu verschmelzen, und die Art, wie sie sich umarmten und liebkosten, erschien ihr vollkommen. Als gehörten sie zusammen, unwiderruflich und für immer, und als wäre es noch nie anders gewesen.
Schließlich, als Kjell allein auf dem Bildschirm war, geisterhaft hell im Wasser treibend und umgeben von einer Aura puren Friedens, zerbrach der Bann und ließ sie laut aufschluchzen. Nur zaghaft wurde sie sich wieder der Wirklichkeit bewusst. Sie saß in einem Stuhl, hielt Kjells Hand und starrte bewegungslos auf einen blauen Bildschirm.
Tränen rannen über ihre Wangen. Sie wollte nicht weinen. Nicht vor Kjell und nicht vor den Männern. Aber die Gefühle flossen ungehemmt aus ihr heraus.
„Sieht so aus“, murmelte Alexander verstohlen, „als ginge es euch nicht anders als mir.“
Ukulele rieb sich die geröteten Augen und schien aus einem tiefen Traum zu erwachen. Das Bild wurde schwarz, die Musik lief mit einem wehmütigen Schlussstück aus. Wie ein erstickender Druck lag das Schweigen im Zimmer auf Faes Brustkorb.
„Es löst etwas aus.“ Henrys Flüstern durchdrang die Stille nicht, es schien sie noch zu vertiefen. „Zuerst dachte ich, ich wäre einfach nur sentimental. Aber anscheinend geht es euch genauso.“
„Sie sind anders.“ Alexander rieb sich die Kehle, als hinge ihm ein stacheliger Kloß darin quer. „Irgendwas an diesen Bildern ist anders. Ich habe viele grandiose Aufnahmen gesehen, aber das hier kann man nicht beschreiben. Kannst du es, Ukulele?“
„Nein.“ Der Hawaiianer schniefte. Als er bemerkte, dass Fae ihn beobachtete, wischte er sich verstohlen mit dem Hemdsärmel über das Gesicht. „Aber warum muss man alles beschreiben? Jeder, der es sieht, kann es spüren. Ihr wollt eine Beschreibung? Nehmt das hier.“ Er hielt seinen Arm ins Licht. Deutlich sichtbar war die Gänsehaut, die ihn überzog.
Genauso wie die Menschen im Café. Wie die rothaarige Frau und die Bedienung. Wie alle, die ihn gesehen hatten.
Kjell saß neben ihr und starrte vor sich hin, als konzentriere er sich auf etwas. Was er fühlte, war vollkommen undurchsichtig.
„Stellt euch Folgendes vor.“ Alexander holte tief und bedeutungsvoll Atem. „Wir bringen diese Aufnahmen ganz groß raus. Wir erreichen Millionen von Menschen, und Millionen von Menschen spüren, was wir gespürt haben. Es könnte die Veränderung auslösen, auf die die Welt wartet. Es wäre ein Impuls, der sich ausbreitet wie Wellen auf dem Wasser. Versteht ihr? Diese Aufnahmen gehen tiefer als alles, was ich bisher gesehen habe. Sie sind nicht einfach nur schön oder außergewöhnlich. Das auch, sicher. Aber sie sind noch viel mehr.“
„Es muss an dir liegen.“ Ukulele wandte sich Kjell zu. „Hast du irgendwas gemacht?“
„Nein“, kam es geistesabwesend zur Antwort.
„Dann passiert es unbewusst. Alexander hat recht. Wenn wir dieses Gefühl verbreiten würden, könnte das viele Menschen verändern. Sieh dir Henry an. Hast du jemals erlebt, dass er vor dem Bildschirm heult?“
Fae realisierte nur langsam und stückweise, was sie da hörte. „Verstehe ich euch richtig? Sprecht ihr gerade davon, Kjell der Öffentlichkeit zu präsentieren?“
„Ja“, sagte Alexander geradeheraus. „Natürlich nur, wenn er es will.“
„Wie naiv bist du eigentlich?“ Fae schüttelte den letzten Rest Verzauberung ab und starrte ihn böse an. „Das kann nicht dein Ernst sein! Als wir in die Stadt wollten, hättest
Weitere Kostenlose Bücher