Die Seele des Ozeans
du uns beide am liebsten festgenagelt. Du hast mir Vorträge darüber gehalten, wie riskant es wäre, Kjell unter Menschen zu bringen, und jetzt willst du aus ihm eine Berühmtheit machen? Geht’s noch?“ Plötzlich kam ihr eine glasklare Erkenntnis. Sie holte Luft und fügte kalt hinzu: „Ich verstehe. Bei unserem Stadtausflug ging es nicht um Geld und Ruhm.“
„Fae!“ Die Stimme ihres Bruders blieb trotz des Vorwurfs sanft und ruhig. „Bitte denke darüber nach. Henry kann dafür sorgen, dass die Aufnahmen unverfänglich aussehen. Er ist ein Meister seines Fachs. Wenn er mit den Bildern fertig ist, wird jeder glauben, Kjell sei ein gewöhnlicher Mensch. Die, in denen sein Schwanz zu sehen ist, schneiden wir natürlich raus.“
„Träum weiter!“
Die rothaarige Frau stand ihr vor Augen. Diese Angst in ihrem Blick, diese Konzentration an Gefühlen, deren Heftigkeit niemals harmlos sein konnte. Was immer Kjell auslöste, es war nicht ausschließlich gut, sondern in erster Linie unberechenbar.
Alexander zwickte sich mit Zeige- und Mittelfinger in den Nasenrücken und atmete tief durch. „Hast du nicht selbst gesagt, die Welt sei schlecht? Wie viel Schlimmes passiert, nur weil die Menschen zu dumm und zu ignorant sind, um zu begreifen?“ Er ließ seinen Arm wieder sinken und schnaubte unwirsch. „Kjell kann ihnen die Augen öffnen. Du hast es gefühlt. Ich weiß es. Wir alle haben es gefühlt. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber er besitzt die Fähigkeit, uns mehr sehen zu lassen. Uns mehr fühlen zu lassen. Er stellt etwas mit unserer Seele an, und jetzt male dir aus, dieser Zauber würde über die ganze Welt verbreitet. Durch den Film, den wir mit ihm gemeinsam drehen.“
Fae drückte ihren Rücken durch und schob den Unterkiefer vor. „Nein!“
„Alexanders Idee klingt gut“, kam es leise von Kjell. „Ich könnte etwas bewegen. Ich könnte endlich …“
„Nein!“, wiederholte sie wütend. „Berühmtheit ist das letzte, was du gebrauchen kannst. Wie lange würde es dauern, bis alle Welt herausfindet, wohin wir uns zurückgezogen haben? Wie lange, bis man uns hinterher schnüffelt? Und wie lange, bis irgendwer erkennt, dass mit Kjell etwas nicht stimmt? Außerdem löst er nicht nur Gutes aus. Du warst nicht dabei, als alle Menschen, die ihm in der Stadt begegneten, anschließend wie unter Drogen standen. Es ist zu intensiv, verstehst du? Zu unberechenbar.“
„Darum geht es ja gerade“, knurrte Alexander. „Dass es intensiv ist. Niemand wird erfahren, wo wir leben. Alles geschieht unter größter Vorsicht. Die Rechte für die Aufnahmen bleiben allein bei uns. Nichts geschieht ohne vorherige Genehmigung. Glaub mir, diesmal läuft alles anders. Wir produzieren das Werk, das die Welt verändern wird. Wir produzieren ein Upgrade für die Menschheit.“
„Deine Absicht in Ehren, aber das lasse ich nicht zu.“
„Denke an die Möglichkeiten!“, drang Alexander weiter auf sie ein. „Stell dir vor, du liegst im Sterben, und auf einmal erkennst du, wie viel du mit ein bisschen mehr Mut und Rückgrat hättest bewirken können.“
Fae öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu.
„Es tut mir leid.“ Ihr Bruder wurde schlagartig kalkweiß. „Verzeih mir.“
„Ach, hör doch auf. Du kannst groß daherreden, für dich besteht keine Gefahr. Kjell ist es, der geliefert ist, wenn irgendwas schiefgeht. Angenommen, du drehst diesen Film und wir werden alle berühmt. Kannst du die Hand dafür ins Feuer legen, dass unsere Privatsphäre gewahrt bleibt? Denke daran, er hat mir das Leben gerettet und er hat euch gerettet. Das Mindeste, was wir tun können ist ihn zu beschützen.“
„Fae hat recht“, pflichtete ihr Ukulele bei. „Wir hätten am Anfang alles unter Kontrolle. Aber lass den Film groß rauskommen, und wir stehen mitten im Rampenlicht. Es ist zu gefährlich. Wie sollen wir Kjell dauerhaft schützen, wenn die ganze Welt auf uns schaut? Ich bezweifle nicht, dass dieser Film die Menschen verändern würde. Das würde er ganz sicher. Aber es gibt immer noch genug von uns, die sich einen Dreck um ihr Karma scheren und alles Gute in einen großen Haufen Scheiße verwandeln. Früher oder später wird irgendein Arschloch rausfinden, was wir verstecken, und dann müssen wir den Rest unseres Lebens damit klarkommen, unseren Freund ans Messer geliefert zu haben.“
„Verflucht.“ Alexander zerrte aufgebracht an seinen Dreadlocks. „Ich weiß. Ich weiß. Aber seht ihr nicht, was uns
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