Die Seele des Ozeans
noch geglaubt, unkontrollierbar kichern zu müssen, blieb ihr angesichts seines Gesichts jeder Laut im Hals stecken.
Eisige Reptilienpupillen klafften in silbergesprenkeltem Türkis und hielten ihren Blick fest wie ein Spinnennetz die Fliege. Sie fürchtete sich, und sog dennoch jedes Detail in sich auf, ohne zurückzuweichen: Den geschwungenen Bogen seiner rauchgrauen Brauen, die nur so dunkel aussahen, weil sie in solchem Kontrast zu seiner weißen Haut standen. Den Schatten seiner Wimpern. Den Tropfen, der in die Vertiefung seiner Kehle rann und die Strähnen, die auf seinem Hals klebten. Ihre Finger wollten ihr kaum gehorchen, als sie vorgriff und eine davon nach hinten strich.
„Danke“, flüsterte sie.
„Danke wofür?“, flüsterte er ebenso leise zurück.
„Dass du zurückgekommen bist.“
Als Fae ihre Hand zurückzog, strich sie flüchtig über den feuchten Stoff, der seine Schulter bedeckte. Falsch wirkte die Kleidung auf seiner Haut. Wie eine schlecht sitzende Maske. Sie wollte ihn noch einmal in seiner wahren Gestalt sehen. So, wie er wirklich war.
Als Kjell beharrlich schwieg, nahm Fae zwischen den Kissen Platz, legte sich auf die Seite und sah zu, wie er es ihr gleichtat. Langsam streckte er sich vor ihr aus, nahm sich ein blaues Kissen und knüllte es äußerst menschlich vor seiner Brust zusammen, während er sich mit dem Ellbogen abstützte. Wieder eine Geste, deren Normalität unpassend wirkte.
Rembrandt, der sich in einer dunklen Ecke zusammengerollt hatte, streckte sich steifbeinig, schwankte zu Kjell hinüber und fand an seinem Bauch eine neue Ruhestätte. Schnurrend ließ sich das Tier kraulen, während sein Körper immer länger zu werden schien.
„Ich will dir alles erzählen“, hörte sie Kjell sagen. „Ich will, dass du alles weißt. Frage mich, was immer du willst.“
Fae blieb vor Überraschung jedes Wort im Halse stecken. All die Fragen, die ihr zuvor noch durch den Kopf gewirbelt waren, gaben plötzlich Fersengeld. Sprachlos starrte sie ihn an.
„Ich dachte, du wärst neugierig.“ Mit jeder Sekunde, die sie es wagte, in seine Augen zu blicken, wurden sie fremdartiger und unbegreiflicher. Warum war er wirklich hier? Weil sie starb, und weil man seinesgleichen nachsagte, hungrig nach Menschenseelen zu sein?
Da war sie, ihre drängendste Frage. Doch Fae wagte noch nicht, sie zu stellen. Dreimal schloss sie die Augen und atmete tief durch, ehe sich ihre Gedanken wieder in einem halbwegs kontrollierbaren Strom bewegten.
„Nur zu.“ So kalt seine Augen blickten, so warm war seine Stimme. Raunend und streichelnd, verführerisch sanft. „Du bist der erste Mensch, dem ich dieses Angebot mache.“
„Sirenenflüstern“, sprach Fae ihren Gedanken laut aus.
„Was?“
„Ach nichts.“
„Sirenen locken Menschen in den Tod“, gab er ruhig zurück. „Ich habe von ihnen gelesen. Willst du dir Wachs in die Ohren stopfen, so wie Odysseus?“
Fae schnaufte. „Ist das denn nötig?“
„Ich weiß es nicht“, gab er mit einem kühlen Unterton zu. „Vielleicht solltest du mir wirklich nicht zuhören. Bisher habe ich nicht herausgefunden, wie viel Wahres in den Legenden steckt.“
„Aha.“ Fae starrte auf Kjells Haarspitzen, von denen immer noch vereinzelte Tropfen fielen. „Dann bist du noch nicht lange so, wie du bist?“
„Ich habe die Zeit nicht gezählt. Aber Jahrhunderte waren es bestimmt nicht, um wieder auf die Legenden zurückzukommen.“
„Legenden. Du sagst es. Vor mir sitzt gerade eine. Unglaublich, oder? Ich müsste vermutlich ausflippen. Oder mich der Wahrheit verweigern. Oder was auch immer.“
Kjell zuckte lapidar die Schultern.
„Du sagtest, du hast in diesem Haus gewohnt?“, stellte Fae die nächste Frage. „Wann? Mit wem?“
„Mit meinem Vater. Vor vielen Jahren.“
„Ein menschlicher Vater?“
Er nickte, schnupperte am Fell des schnurrenden Katers und blickte wieder auf, ein verklärtes Lächeln auf den Lippen. Warum lächelte er? Woran dachte er?
„Meine Mutter war auch ein Mensch“, fügte Kjell hinzu.
„Aber wie …“ Sie starrte auf seine Beine. Zwei gewöhnliche, kräftige Beine, die vollkommen echt und trotzdem nicht richtig aussahen. „Wie bist du so geworden?“
„Es gibt eine Kraft im Meer. Ich nenne sie die Seele. Sie nimmt und schenkt Leben, verändert oder zerstört es. Aber was genau diese Kraft ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass sie mich verwandelt hat.“ Mit jedem Wort wurde seine Haltung entspannter.
Weitere Kostenlose Bücher