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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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müssen.
    Bitte. Lass ihn kommen.
    Und wenn es nur für eine Nacht ist.
    Die Männer hatten sich noch immer im Technikraum verschanzt. Manchmal konnte sie leises Rumoren hören. Verstohlene Stimmen, Mausklicken, leises Geklapper und das Klackern von Fingern auf Tasten. Dazwischen angespannte Stille. Mit jeder verstreichenden Minute wuchs ihr Zorn auf den Lauf der Dinge, der ihr die unglaublichste Erkenntnis ihres Lebens vorwarf und sie ihr sofort wieder entriss. Ihre Gedanken kreisten und kreisten, bis sie sich am liebsten das Gehirn aus dem Kopf gerissen hätte, um wutschnaubend darauf herumzutrampeln.
    Morgen früh werde ich schon nicht mehr daran glauben, dass er existiert. Ich werde mir selbst nicht mehr glauben.
    Fae schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Ding in ihrem Schädel. Es verhielt sich ruhig, beinahe zu ruhig. Kaum Schmerzen, keine Halluzinationen. Ihre Haut und die Katze rochen normal. Alle Farben, die sie umgaben, schienen real zu sein.
    Bewegungslos lag sie da, spürte das schläfrige Atmen des Katers und den trägen Schlag ihres Herzens. Ein Teil in ihr wollte an den Strand laufen und nach ihm rufen, aber der andere wusste, dass es der falsche Weg war.
    Lass ihn kommen … gib mir noch etwas Zeit …
    Das Ding in ihrem Kopf schien höhnisch zurückzuflüstern: Träum weiter! Ob dir Wunder begegnen oder nicht, ob du leben willst oder nicht, ich werde dich töten.
    Ihre Kehle fühlte sich wund und trocken an, drängend schlug das Herz gegen ihren Brustkorb. Sie leckte sich über die Lippen und schmeckte eine Spur Salz. Meeressalz. In ihren Träumen malte sie sich aus, wie Kjell durch das Meer schwamm, wild und frei, wie er zu fernen Küsten wanderte, ganze Ozeane durchquerte und die Schönheit einer Welt genoss, die keine Grenzen kannte.
    „Nimm mich mit“, flüsterte sie in die Stille. „Bitte komm und nimm mich mit.“
    Lange starrte sie ins Leere, bis sie leise Schritte von unten her hörte. War es Kjell? Kam er doch noch einmal zu ihr zurück?
    Sie hörte verhaltene Stimmen aus dem Technikraum. Alexander, Henry und Ukulele hatten sich offenbar noch immer verbarrikadiert. Ehe Fae wusste, wie ihr geschah, rannte sie bereits die Treppe hinunter. Für einen Augenblick vergaß sie jede Vorsicht, erst das vernehmliche Knarzen der Stufen machte ihr bewusst, dass sie zu laut war. Behutsamer schlich sie weiter, auch wenn die Ungeduld sie wahnsinnig machte, huschte auf Zehenspitzen den Flur entlang und bog nach links ins Wohnzimmer ab. In letzter Sekunde unterdrückte sie einen freudigen Aufschrei.
    Reglos stand er mitten im Raum. Sein silbernes Haar tropfte vor Nässe, Henrys weißes Hemd war klatschnass und voller Sand. Aus hell funkelnden Kristallaugen blickte er sie an, völlig außer Atem und bebend vor Erregung. In seinem Blick lag eine lodernde Mischung aus Freude und Verzweiflung.
    Fae nickte zur Treppe hinüber. Nicht einmal ein Lächeln brachte sie zustande, ihre Beine zitterten und wollten sie kaum tragen. Während sie vorsichtig den Weg zurück beschritt, folgte er zögernd. Der Drang, sich umzudrehen und ihn erneut zu spüren, wurde unerträglich. So fühlte es sich also an, wenn eine Welt zerbrach und eine neue entstand. Oh, sie trauerte der alten nicht nach. Nicht im Geringsten.
    Endlich war sie zurück im Dachzimmer. Fae wartete, bis Kjell eingetreten war, dann schloss sie die Tür hinter sich. Wie ein heller Schatten glitt er an ihr vorüber, ohne sie zu berühren oder auch nur flüchtig zu streifen.
    Einen Schlüssel gab es nicht, aber einen Riegel. Fae hatte ihn seit ihrem Einzug nie benutzt, dementsprechend widerwillig war sein Knirschen, als sie ihn vorschob. Hinter ihr erklang ein kaum hörbarer Schreckenslaut wie das hauchfeine Zischen eines Tieres. Kjell starrte sie aus Augen an, die an ein ängstliches Kind erinnert hätten, wären sie nicht von der kalten Fremdartigkeit eines Reptils ausgefüllt. Senkrecht geschlitzte Pupillen und eine Iris, die den gesamten Augapfel einnahm. Beides war weder eine Einbildung noch ein sonderbarer Lichtreflex gewesen. Plötzlich spürte Fae mit aller Deutlichkeit, was zwischen ihnen lag: Die Kluft zwischen Land und Meer, zwischen Mensch und Fabelwesen.
    „Alles okay?“
    Kjell antwortete, indem er seine Augen zusammenkniff und deren ohnehin unbegreifliches Türkis noch intensivierte. Sein Atem ging schwer und schnell, unter dem nassen, durchsichtigen Stoff des Hemdes sah Fae das hektische Auf und Ab seiner Brust, bis er beide Arme hob

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