Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
der Lochhüter Abdias Wolff auf die Straße hinaus. »Viel Glück«, flüsterte er. »Gott schütze Euch alle«, gab Wolff zurück. Dann hatte ihn die Nacht verschluckt.
Wie im Fieber hastete der Apotheker durch die dunklen Gassen. Es war eine glückliche Fügung, dass an Neujahr ein ungewöhnliches Tauwetter eingesetzt hatte. Seit einer guten Woche regnete es, der Schnee war geschmolzen. So würde niemand seine Fußspuren bis zum Fluss verfolgen können.
Er erschrak, als ihn etwas am Bein berührte, dann erkannte er, dass es ein Hund war, der sich über die nächtliche Gesellschaft freute. Der Streuner heftete sich zutraulich an seine Fersen, und er wagte nicht, ihn zu vertreiben, aus Angst, das Tier würde sonst jaulen oder bellen. Also ließ er ihn mittraben, während er sich von Hausecke zu Hausecke tastete, sich immer wieder in Nischen und Einbuchtungen verbergend. Die Finsternis machte ein zügiges Vorankommen unmöglich, so dass er fast eine halbe Stunde bis zur Anlegestelle brauchte. Bis dahin hatte ihn der Nieselregen völlig durchnässt, und seine Zähne klapperten. Er tappte zum Kranen hinüber, einer hölzernen Balkenkonstruktion, mit der die Boote be- und entladen wurden, und spähte nach dem Sohn des Lochwärters umher. Leises Plätschern kam vom Fluss, der sich behäbig seinen Weg durch die Stadt bahnte.
Da, ein Licht! Es bewegte sich hin und her, drüben bei einem der kleinen Bootsschuppen. Wolff tätschelte dem Hund zum Abschied den Kopf. Das Tier verstand, setzte sich auf die Hinterbeine und sah ihm mit gespitzten Ohren nach, als er hinüberlief.
Die nächsten beiden Stunden bis zum Tagesanbruch saß der Apotheker mit dem jungen Fischer, dem er einmal das Leben gerettet hatte, im Trockenen. Matthes Helmreich hatte einen Sack mit Verpflegung dabei, über den sich Abdias Wolff hungrig hermachte. Er schlüpfte in einen mitgebrachten Umhang, einen ganz einfachen, unauffälligen Mantel, wie ihn jeder Bauer trug.
Kurz vor Sonnenaufgang führte ihn der Fischer zu seinem Schelchen, ließ ihn einsteigen und breitete sein Netz und zwei aufgeschnittene Rupfensäcke über ihn. Und nachdem es hell geworden war, stakte er das Boot in die Flussmitte, um es von dort aus durch die Bögen der Oberen Brücke, am Geyerswörth vorbei und aus der Stadt hinaus zu lenken.
Abdias Wolff rührte sich nicht unter seiner Bedeckung. Von der Anspannung der Nacht war er so müde, dass er in einen bleiernen Schlaf fiel. Er wachte erst auf, als er spürte, das der Schelchen mit einem Ruck zum Halten kam. Matthes Helmreich zog Säcke und Netz weg. »Raus jetzt, schnell!« Er half seinem Passagier an Land und warf ihm dann den Beutel mit der restlichen Verpflegung nach.
»Das werde ich Euch nie vergessen«, sagte der Apotheker und streckte dem Fischer die Hand entgegen. Der schüttelte sie kräftig. »Wo wollt Ihr jetzt hin?«, fragte er.
»Ich werde versuchen, mich nach Nürnberg durchzuschlagen. Die Reichsstadt liefert nicht ins katholische Bamberg aus, da bin ich außer Gefahr.« Er schulterte den Sack. »Darf ich Euch noch um etwas bitten?«
»Nur zu.«
»Wenn es sicher ist, geht zu einer meiner Töchter und gebt Bescheid.«
»Das tu ich«, versprach der junge Helmreich. Dann stakte er sein Boot vom Ufer weg.
Abdias sah dem Schelchen nach, bis er im Nebel verschwand, der noch über dem Wasser lag. Dann wandte er sich um und schritt, so schnell er konnte, in Richtung Süden aus.
Brief des Bürgermeisters Johannes Junius an seine Tochter Veronika, geschrieben mit Fensterblei auf einen Fetzen Pergament und in einem Handschuh aus der Haft geschmuggelt. Februar 1630.
Zu viel hundert tausend Mal gute Nacht, hertzlibe Tochter Veronica!
Unschuldig bin ich in dieß Gefengknis kommen, unschuldig bin ich gemarttert worden, und unschuldig muß ich sterben. Denn wer in das Malefitz-Hauß kombt, der muss ein Trudner werden, oder er wird so lang gemarttert, biß daß er sich selbsten etwas in seinem Kopff ausdenckt, falls ihm, mit Gotts Hülfe, etwas einfällt.
Will Dir ertzählen, wie es mir ergangen ist: Alß ich zum ersten Male verhört wurd, warn Dr.Schwartzcontz, Dr.Herrenberger und zwei frembde Doctores da. Dr.Schwarzcontz fragte mich: Ei, Schwager, wie kombt Ihr hier her? Ich gab zur Antwortt: Durch Falschheit und Unglück. Hört, sagte er, Ihr seid ein Hexer! Gebt es liber freywillig zu, wo nit, so wird man Euch Zeugen gegenüber stelln – und den Hencker an die Seiten. Ich sagt: Ich bin kein Hexer, in der Sach hab ich
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