Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Begutachten. Natürlich hatten sie unter seinen vielen Muttermalen und Leberflecken ein Teufelszeichen gefunden, das war dem Apotheker schon vorher klar gewesen. Dadurch galt er jetzt schon als so gut wie überführt, auch wenn er danach das Vaterunser samt dem Gegrüßetseistdumaria fehlerfrei hatte aufsagen können.
Seine Hoffnung, dass Johanna und Antoni aus der Stadt hatten fliehen können, hatte sich nicht erfüllt. Vor einer Woche waren die beiden zum Hexenhaus gekommen, hatten draußen seinen Namen gerufen. Zwei, drei Sätze hatten sie wechseln können, dann war einer der Malefizknechte aus der Wächterstube gelaufen und hatte die beiden vertrieben. Wolff hörte noch immer Antonis herzzerreißendes Schluchzen. Er wälzte sich auf dem Stroh hin und her. Immer wieder musste er daran denken, dass manch Unglücklicher schon die eigene Familie unter der Folter besagt hatte. Seine Gedanken kreisten darum, wie er verhindern konnte, dass es ihm genauso ging. Das war seine größte Angst.
Sein Magen knurrte, und er tastete blind nach dem Holznapf mit Wasser. Durstig trank er zwei, drei kleine Schlucke, nicht mehr, denn er musste haushalten, bis am nächsten Mittag wieder Wasser und Brot gebracht wurden. Er war sich sicher, dass seine Kinder dem Lochwirt Geld für bessere Verpflegung gegeben hatten, aber der Lump hielt sich nicht an die Abmachungen, das wusste Wolff schon von seinen Zellengenossen. Vorsichtig stellte er den Napf wieder hin und kroch tiefer ins Stroh.
Draußen auf dem Gang hörte er ein Geräusch, leise Tritte. Er horchte verwundert. Das war nicht die übliche Runde der Wächter, die polterten und machten Lärm, rüttelten an den Türen. Dann drehte sich leise ein Schlüssel im Schloss. Das Licht eines Talglämpchens verbreitete einen zitternden gelblichen Schein in dem stockfinsteren Raum. Wolff richtete sich auf. »Wer da?«, fragte er mit klopfendem Herzen.
»Ruhig«, raunte eine Stimme. »Um Gottes willen, seid leise.« Der Mann hob das Licht vor sein Gesicht. »Erinnert Ihr Euch noch an mich, Meister Wolff?«
Der Apotheker kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. »Jörg«, flüsterte er schließlich, »Jörg Helmreich.«
»Ja, ich bin’s.«
Abdias Wolff schloss für einen kurzen Moment die Augen. Es war viele Jahre her, dass Helmreich mit seiner kleinen Familie in ärmsten Verhältnissen unter dem Dach eines der Nachbarhäuser gelebt hatte. Eines Abends hatte ihn die junge Helmreichin in Panik aus der Apotheke geholt. Ihr zweijähriger Sohn, so stammelte sie, sei ganz plötzlich schlimm krank geworden, bekomme keine Luft mehr, liege wohl im Sterben. Ihr Mann sei nicht da, der Arzt irgendwo unterwegs, sie wisse nicht ein noch aus. Wolff hatte sich damals ohne zu Zögern ein paar Arzneien gegriffen und war mit ihr gelaufen. Das Kind rang verzweifelt nach Luft, seine Glieder zuckten, das Gesicht war bereits blau angelaufen, aber Wolff konnte kein weiteres Zeichen einer Krankheit erkennen. Er wusste nicht, was er hätte verabreichen sollen, bis ihm die einzig rettende Idee kam. Mit festem Griff packte er den kleinen Jungen, hielt ihn an den Füßen in die Höhe und schlug ein paar Mal hart auf seinen Rücken. Der Kleine gab ein Schlucken und Röcheln von sich, würgte und hustete. Und dann spuckte er einen Knopf aus.
Inzwischen, so dachte Wolff, musste das Kind wohl über zwanzig Jahre alt sein, und sein Vater hatte offenbar als Lochhüter sein Auskommen.
»Ich hab noch eine Schuld bei Euch zu begleichen.« Der Lochhüter half Abdias Wolff hoch. »Meine Frau hat keine Ruhe gegeben, als ich ihr erzählt hab, dass Ihr verhaftet seid. Sie hat gesagt, sie würde im Grab keine Ruhe finden, wenn ich Euch nicht helfe. Ihr habt unserem einzigen Kind das Leben gerettet, und das wollen wir Euch heut vergelten. Nein, dankt mir nicht! Hört genau zu. Die Wächter schlafen. Ihr folgt mir jetzt leise nach drunten, und ich lass Euch hinaus. Dann schleicht Ihr Euch zum Kranen, wo die Boote liegen. Unser Sohn, der Matthes, hat einen Schelchen. Er wartet dort auf Euch. Es wird nicht weiter auffallen, wenn er im Morgengrauen wie immer zum Fischen hinausfährt. Ein Stück vor der Stadt bringt er Euch an Land. Mehr können wir nicht für Euch tun. Und jetzt schnell.«
Er schob den Apotheker aus der Zelle und ließ die Tür danach leise ins Schloss fallen. Auf Zehenspitzen gingen die Männer die Treppe hinunter, vorbei an der Kammer der Malefizknechte, aus der leises Schnarchen ertönte. Dann ließ
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