Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Turm?«
Cornelius lachte. »Na, Euer Ältester ist doch schon ein richtiger Kerl, der wird das wohl schaffen.«
»Der? Der treibt sich den ganzen Tag nur herum! Auf seine Mutter hört der schon lang nicht mehr!«, zeterte die Hahnin.
Johanna hatte sich derweil am Rezepturentisch zu schaffen gemacht und brachte jetzt einen großen Steingutnapf, der mit einem ölgetränkten Leinentüchlein verschlossen war. »Da, Bärbel, das ist Läusepaste. Die müsst ihr morgens auftragen, bis zum Mittagsläuten wirken lassen und dann mit Wasser und Seife ausspülen. So lange, bis die Läuse weg sind. Aber Vorsicht: Lass deine Kleinen nicht dran naschen, obwohl es süß riecht! Da ist Herbstzeitlosensamen und -wurzel drin, sehr giftig!«
Die Türmerin nickte und tat den Tiegel in ihren Korb. »Was bin ich schuldig?«
»Zwei Pfennige, wenn’s recht ist.«
Das Geld klimperte aufs Fensterbrett. »Übrigens, morgen gibt’s wieder einen Brand«, erzählte die Bärbel, schon im Gehen. »Ich hab vorhin noch vom Turm aus gesehen, dass sie den Scheiterhaufen aufschlichten. Wer wohl diesmal dran ist?«
Johanna drehte sich zu Cornelius um. Sie war blass geworden. »Onkel Junius«, sagte sie, »mein Gott, hoffentlich ist Onkel Junius nicht dabei.«
»Ich versuche, was herauszubekommen«, sagte Cornelius, setzte seine Kappe auf und ging.
Johanna rief nach ihrem Bruder. »Toni, lauf zur Thea und erzähl ihr, dass es morgen einen neuen Brand gibt. Wir treffen uns zum Abendläuten bei der Veronika. Beeil dich.« Sie schubste ihn zur Tür hinaus.
Dann räumte sie das Durcheinander auf, das Antoni hinterlassen hatte.
Gnadenzettel für Johannes Junius und Anna Eberl vom 26.Mai 1630
Obwohl gegenwertig vor Gericht gebrachte Personen dem itzt verlesenen Urtheil über ihre schwehren Verbrechen und Verdienst nach billich mit dem Feuer vom Leben zum Tode zu straffen wären, so läßt jedoch der hochwürdige unser allerseits gnädiger Fürst und Herr von Bamberg auß sonderbaren bewegenden Ursachen ihnen diese hohe fürstliche Gnad erzeigen und erweißen, das sie nemblich erstlich mit dem Schwerd vom Leben zum Todt hingerichtet, alßdann mit Feuer zu Pulfer und Asche verbrent werden sollen.
Neben diesem aber soll der Anna Eberl wegen ihrer viel begangenen Missethaten erstlich ein Griff mit glühender Zange gegeben, hernacher ihre rechte Hand, mit welcher sie erschröcklich und unchristlich gesündigt sambt dero Haubt zugleich abgeschlagen undt ihr Cörper gleich andern durch das Feuer verzehrt werden.
Actum den Mittwoch nach Urbani 1630
Richtstatt vor dem Langgasser Tor, 27.Mai 1630
Ich weiß nicht, ob ich das aushalte.« Veronika Junius standen die Tränen in den Augen. »Aber ich muss doch hin!« Dorothea drückte der Freundin fest die Hand, während sie den Weg zum Schwarzen Kreuz einschlugen. Sie ging links von ihr, während Johanna die Bürgermeistertochter rechts untergehakt hatte. »Vielleicht ist er ja gar nicht dabei«, meinte sie. »Wir dürfen einfach die Hoffnung noch nicht aufgeben.«
»Ich hab die ganze Nacht gebetet und vorhin noch zwölf Wachskerzen ins Kloster gestiftet«, sagte Veronika. »Aber ich spür’s, diesmal hat es nicht geholfen. Diesmal … « Sie brach mit erstickter Stimme ab.
Es war viel los auf der Strecke zum Hochgericht. Die Leute eilten sich, um einen guten Platz zu ergattern, manche Mütter hatten ihre Kinder an der Hand, andere führten ihre alten oder lahmen Verwandten hin. Bei den letzten Bränden hatte es sich eingebürgert, dass einer der Bamberger Bäcker mit dem Bauchladen Schneeballen feilbot, ein knuspriges, gezuckertes Schmalzgebäck, das als Zwischenmahlzeit beliebt war. Die drei jungen Frauen gingen angewidert an dem gierigen Geschäftemacher und seiner Frau vorbei. An der Richtstatt drängten sie sich durch bis ganz vorne und ernteten dabei Püffe und Beschimpfungen. Endlich standen sie direkt neben dem kleinen Holzzaun, der den Bereich des Gerichts und der Schöffen von den Zuschauern trennte. Dann warteten sie und hielten Ausschau. Ein fetter Maikäfer brummte über ihren Köpfen und versuchte, auf Johannas Haube zu landen. Hinter ihnen ragte das Schwarze Kreuz in den blauen Frühlingshimmel wie ein Fanal des Bösen.
»Da!« Veronika Junius entdeckte den herannahenden Schandkarren als Erste und griff mit eiskalten Fingern nach den Händen ihrer beiden Freundinnen. Alle drei erhoben sich auf die Zehenspitzen und versuchten zu erkennen, wer auf dem Karren fuhr. Und dann bekreuzigte sich
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