Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
nächsten Morgen in einer Ecke des Friedhofs zu begraben, damit es wenigstens in geweihter Erde lag. Und obwohl in der Sippe bereits ein Säugling erste Symptome der Krankheit zeigte, beschlossen die Zigeuner, noch am selben Tag weiterzuziehen. Es war nicht gut bleiben an einem Ort, an dem einer von ihnen gestorben war. So brachen sie ihr Lager ab.
Der Bruder des toten Mädchens war der Einzige unter den Fahrenden, der die Stadt nicht gern verließ. Er hatte nämlich eine Spielkameradin gefunden, die elfjährige Mechthild aus der Sutte. Sie war die Tochter eines Fleischers, ein hübsches Ding mit hellblonden Locken, blauen Augen und lustigen Zahnlücken. Gleich am ersten Nachmittag war sie ohne jede Schüchternheit auf ihn zugekommen. »Ich bin die Mechtel«, hatte sie gesagt, »und wie heißt du?«
»Enno«, hatte er geantwortet. »Mein Vater ist der Joglar. Schau her, was ich alles kann!«
Und dann hatte ihr der Zigeunerjunge stolz gezeigt, wie man mit drei Bällen auf einmal jonglieren konnte, hatte mit ihr kleine Zaubertricks geübt und ihr das Radschlagen beigebracht. Im Gegenzug dazu hatte sie ihn mit Würsten und Presssackstücken versorgt, die sie ihrem Vater aus der Wurstküche stibitzte. Sie hatten Fangen und Verstecken gespielt, Steine in die Regnitz geworfen, Reifen und Kreisel über den Saumarkt getrieben. Zwei Tage lang waren die beiden Kinder unzertrennlich gewesen, und jetzt sagten sie sich beim letzten Wagen verlegen auf Wiedersehen.
»Kommst du bald wieder?«, fragte das Mädchen.
»Glaub ich nicht. Vielleicht.« Er trat von einem Fuß auf den anderen.
»Denkst du auch mal an mich?«
»Äh, kann schon sein.«
Sie kniff die Augen fest zusammen und hielt ihm ihr dreckverschmiertes Gesicht entgegen. »Krieg ich einen Abschiedskuss?«
Der Bub sah sich erst verstohlen um, dann gab er seiner Freundin mit nassen Lippen einen hastigen, ungeschickten Schmatz. Vor lauter Aufregung hätte er beinahe daneben getroffen. Dann rannte er, um seine Leute einzuholen, die schon in die Fleischgasse einbogen.
Vier Tage später begann die Fleischers-Mechtel über Halsweh zu klagen, zu husten und zu fiebern.
So hatte die tödliche Seuche die Stadt erreicht.
Aus den Lebenserinnerungen der Dominikanernonne Anna Maria Junius zu Bamberg, niedergeschrieben im Jahr 1652
Es muss um Pfingsten herumb gewesen sein oder kurtz vorher, daß der Würger in unßre Stadt kam. Die fremden Spielleut seien schuldt geweßen, sagten die einen, und fluchten aufs Fahrendt Volck. Nein, sagten die andern, das sey nur ein weitters Zeychen für die ungeheurliche Verschwörungk der Druden; sie täten Satans Werck an ihren libsten Opfern, den Kindern. So hat es damalß jedenfals unßer Weih-Bischoff von der Kantzel in der Obern Pfarr geprediget, und alle habens ihme geglaubt. Er hat gesagt, er wüßt’s gantz genau: Zwölff Unholden hätten am Roppach bey Hallstadt Hostien in ein Topf gethan, hinein geharnt, umgerühret und dann vergraben. Darauff sey der Teuffel erschinen und hätt sie allesamt beschlafen, darnach ihnen dann die Macht geben, den Kindern pestilenziarische Lufft einzublasen, daß sie auf den Todt kranck würden. Man würd schon noch herauß finden, welche dieße Unholden seien, und sie dann ins Feuer schicken.
Ein grosz Sterben war damalß in der Stadt, und hat meist Kinder, aber auch Altte und Schwache hinweg geraffet, als wie von unsichtbarn Händen gewürget. Da haben viel Leutt neue Hexen ausgeschrien, gaben an, sie hätten sie gesehn, wie sie Kinder anblaßen, die dann kranck geworden seien. Ein jeder hat gerufen, die Obrigkeyt sölle endtlich ein End machen mit dem Drudenpack.
Mein Vater war zu der Zeyt noch im Gefencknis. Ich und mein Schweßter wußten auß eim Brieff, den der Pater Kircher, der Herr mög’s ihme dereinst dancken, in eim Handtschuh auß dem Malefitz Haus heimlich getragen hat, daß man ihn der peinlichen Befragungk unterworffen und zu eim Gestendniß gebracht hat. Aber wir wußten nun auch, daß dies Gestendniß falsch war und vor lauter Martter gegeben. Alß wir den Brief lasen, haben wir vil geweint und geklagt, es war ein Jammer! Alle haben wir gedacht, daß man ihn nun baldigst den Flammen übergeben würdt, doch nichts geschah. Es waren überhaupt wenig Bränd in der Zeyt von Fastnacht bis auff Ostern, dieweil es so vil geregnet, daß man das Fewer kaum hat am Brennen haltten können. Es hat ja fünff, gar sechs Stund gut lodern müßen, damit die Leiber der Druden gäntzlich verprannt
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