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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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man Schlange, Kröte, Ofengabel oder Katze, Bocksfuß oder Horn, so war die Krankheit angehext. Besonders Schlange und Horn waren bei dieser Prozedur immer wieder aufgetaucht.
    Cornelius glaubte dies nicht. Epidemien hatte es immer gegeben, das stand in den Büchern. Auch in Zeiten, da der christliche Glaube noch gar nicht in Europa Fuß gefasst hatte. Es gab sie bei den alten Griechen, im antiken Rom, im Orient, wo man an Muhammad glaubte, in Asien, wo sie heilige Tiere anbeteten, ja, soweit er wusste auch in der Neuen Welt bei den Heiden. Ansteckung erfolgte über miasmatische Luft, über Berührung, über den Kontakt mit Körperflüssigkeiten. So hatte man es ihn zu Bologna und anderswo gelehrt. Aber wo immer er gegen die Hexentheorie der Geistlichkeit Einwände erhoben hatte, war man ihm mit Misstrauen oder gar Ablehnung begegnet. Und seine Freunde hatten ihn gewarnt: Wer in diesen Tagen den Anschein erweckte, nicht an Hexerei zu glauben, konnte schnell als Ketzer gelten und den Weg ins Feuer antreten. Also hatte er es aufgegeben und tat einfach nur weiter seine Pflicht, auch wenn er wusste, dass manche, sobald er aus dem Haus war, irgendwelche Gegenzauber praktizierten. Sie taten es ja auch nur aus Angst, um ihre Kinder zu retten, und Schaden konnten sie damit wohl nicht anrichten.

    Es war schließlich kurz vor Einbruch der Dunkelheit, als er wieder zur Apotheke kam. Johanna öffnete ihm, und an ihrem Gesicht erkannte er gleich, dass etwas nicht stimmte.
    »Was ist los?«, fragte er anstatt einer Begrüßung.
    »Gott sei Dank, dass du da bist«, sagte sie. »Es geht ihm schlechter, ich weiß nicht, warum. Seit dem Mittagsläuten hat er wieder hohes Fieber, trotz der kalten Wickel, und er atmet schwer. Beim Husten würgt er und spuckt braunen Schleim.«
    Cornelius nahm zwei Stufen auf einmal auf dem Weg nach oben. Ein Blick in Antonis Hals genügte: Die Krankheit hatte sich stark verschlimmert. Das ziehende Atemgeräusch war ein Zeichen dafür, dass der Kehlkopf wieder angeschwollen war, und diese Schwellung begann die Luftröhre zu verschließen. Und das, obwohl Johanna alles getan hatte, was in ihrer Kraft stand. Cornelius holte sich einen Stuhl aus dem Gang und stellte ihn neben das Bett. »Ich bleibe heute Nacht hier«, erklärte er mit rauer Stimme. Sie sah ihn nur an.
    Stundenlang saßen sie an Tonis Bett, flößten ihm Medizin und Kräuteraufguss ein, machten Wickel und Umschläge. Johanna hatte alle Lampen und Leuchter, die das Haus besaß, ins Zimmer geholt, damit es nicht so schrecklich düster war. Es war ihr, als ob sie mit der Finsternis auch den Tod draußen halten könnte. So flackerten rings um das Bett viele Flämmchen und tauchten das Gesicht des Kranken in einen hellen, gelblichen Schein. Wieder sang Johanna die alten Lieder, und manchmal fiel auch Cornelius mit ein. Sie erzählte Tonis Lieblingsmärchen, streichelte ihn und sprach mit ihm, wenn er wach war. Manchmal versuchte er zu reden, aber es kam kein Wort mehr aus seiner Kehle. Irgendwann merkte Johanna, dass Cornelius ihre Hand genommen hatte. So blieben sie sitzen, ohne zu reden.
    Um Mitternacht fiel Toni in eine Art Dämmerzustand. Sein Brustkorb hob sich mit immer größerer Anstrengung, der Atem ging pfeifend, ein unheimlicher Ton, der Hanna das Herz zerriss. In ihrer Verzweiflung fing sie an zu beten. Cornelius saß dabei und hasste seine eigene Hilflosigkeit. Er sah zu, wie sich Tonis Lippen langsam bläulich verfärbten. Draußen schlug die Turmuhr eins. Johanna fasste Tonis Hand. Die Finger waren schon ganz kalt. Da wusste sie, dass er sterben würde. Wildes Aufbegehren fuhr in sie, und sie schrie Cornelius an. »Tu doch etwas, Herrgott im Himmel! Du bist doch Arzt! Wir können doch nicht einfach zuschauen, wie er erstickt.« Ein Weinkrampf schüttelte sie.
    »Ich kann ihm nicht mehr helfen.« Cornelius nahm sie in die Arme. »Das geschwollene Fleisch und der dicke Kehlkopf versperren die Luftröhre.«
    »Dann … dann schieben wir eben etwas in seinen Hals, ein Schilfrohr … « Sie wollte nicht aufgeben.
    »Das geht nicht. Der Kehlkopf versperrt den Anfang der Luftröhre, und der ist zu fest geschwollen. Da kann man nichts durchschieben. Ein Schilfrohr schon gar nicht.« Ruhelos begann er, im Zimmer auf- und abzugehen. Er hielt sich die Lage des Kehlkopfs im Rachen vor Augen, Stimmbänder, Speise- und Luftröhre, so wie er es bei den Sektionen im Anatomischen Theater von Bologna gesehen hatte. Johanna hat schon recht, dachte

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