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Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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der geräumigen Küche des Flock’schen Wohnhauses in der Judengasse und knetete Mandelmehl, gestoßenen weißen Zucker, Rosenwasser und Eiweiß zu einem hellen, festen Teig. Wie jedes Jahr wollte sie zu Michaelis die Waisenkinder im Seelhaus auf dem Kaulberg mit Marzipan-Naschereien beschenken. Für die armen, elternlosen Kleinen war das immer ein Fest, einer der seltenen Höhepunkte in der Kargheit ihres armseligen Lebens. Viele Frauen brachten in den letzten Jahren solche süßen Mariengaben dar, als Zeichen gläubiger Dankbarkeit dafür, dass ihnen gesunde Kinder geschenkt worden waren. Früher hatte es so etwas nicht gegeben, da hatte man Zucker aus fremden, weit entfernten Ländern holen müssen, was viel zu teuer war. Aber seit man wusste, wie man Zucker aus heimischen Rüben machen konnte, gab es viel mehr süße Sachen, und auch die Ärmsten konnten daran teilhaben.
    Thea strich den Marzipanbrei in die vorbereiteten Modeln: Monde und Herzen, Rauten und Glocken, Stiefelchen und Bischofsmützen. Sie summte ein Lied dabei und stellte sich die Freude in den Augen der Spitalkinder vor, wenn sie die kleinen Körbchen mit Süßigkeiten entgegennahmen. Ihre Backen waren vor Eifer gerötet.
    »Wusst ich’s doch, dass du heute Konfekt machst!« Johanna trat in die Küche und stellte die mitgebrachte irdene Schüssel auf dem Tisch ab. »Schau, ich bring dir kandierte Kirschen und Honiglatwerge aus der Apotheke, die kannst du auch mit verschenken.« Sie stellte sich neben ihre Schwester, krempelte die Ärmel hoch und half ihr dabei, das Marzipan aus den Modeln zu lösen.
    »Früher haben wir das auch immer gemeinsam gemacht«, lächelte Thea. »Und der Vater hat uns die Modeln geschnitzt.«
    Hanna seufzte. »Ach, er fehlt mir arg. Das Haus ist ganz leer ohne ihn. Und ich weiß noch so vieles nicht, Arzneirezepte und manches, was im Laboratorium gemacht werden muss. Sonst hab ich ihn immer fragen können, immer war er da. Und der Toni vermisst ihn genauso, auch wenn er’s nicht zugibt.«
    »Er hat ja noch uns zwei Weiber«, grinste Thea. »Und der Heinrich nimmt ihn manchmal mit und macht irgendwelche Männersachen mit ihm. Neulich hat er ihm das Kartenspielen beigebracht. Aber du hast schon recht, den Vater können wir ihm freilich nicht ersetzen.«
    Johanna stupfte ein Stück Marzipan aus der Model und setzte es auf ein großes Holzbrett zum Trocknen. »Trotzdem, wir müssen dankbar sein, dass er überhaupt noch lebt. Und er schreibt ja, dass es ihm zu Nürnberg gut geht und er guter Hoffnung ist, irgendwann einmal zurückzukehren, wenn alles vorüber ist.«
    »Ja, wenn … « Thea, die hellrote kandierte Kirschen in die Mitte der Marzipanrauten gesteckt hatte, hielt inne. »Das dauert nun schon so lange. Und ich hab ständig Angst um den Heinrich. Manchmal schrecke ich nachts aus dem Schlaf und mein, es hätt geklopft und sie kämen ihn holen.«
    Johanna senkte den Kopf. Sie wusste, von des Fürstbischofs bürgerlichen Gegnern waren nicht mehr viele übrig. Erst vor zwei Wochen hatte man zum Entsetzen der Leute den Bürgermeister Dietmayer verhaftet. Eine kurz zuvor verbrannte Hexe hatte ihn beschuldigt, mit ihr zum Hexentanz in den Hauptsmoorwald geflogen zu sein. Niemand gab mehr einen Pfifferling für Dietmayers Leben. Und viele aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis fürchteten, dass er sie unter der Folter besagen könnte, vor allem diejenigen, mit denen er sich gegen den Fürstbischof verbündet hatte. Auch Johanna hatte Angst, mehr als sie sich eingestehen wollte. Angst um Cornelius. Mit einem tiefen Seufzer legte sie die letzten Marzipanstückchen zum Trocknen aus und wusch sich dann die klebrigen Hände in der Wasserschüssel, die neben dem Spülstein stand. »Komm«, sagte sie, »lass uns ein bisschen spazieren gehen. Das vertreibt die trüben Gedanken.«

    Arm in Arm gingen sie durch die Judengasse, vorbei an den hohen Spitzbogenfenstern der Marienkapelle, die einmal eine Synagoge gewesen war, damals, als es noch Juden in der Stadt gegeben hatte. Es war Altweibersommer, wie man sich ihn nicht schöner vorstellen konnte. Die Augusthitze war einer milden, angenehmen Wärme gewichen, die vom bevorstehenden Herbst kündete. Auf den höchsten Dachfirsten sammelten sich schon die Schwalben für den Flug in den Süden; es war ein fröhliches Gezwitscher und aufgeregtes Geflatter. Auch die ersten Störche und Wildgänse hatte man schon ziehen sehen. Bald würde der Herbst kommen.
    Die beiden Schwestern hatten

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