Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Namen zusammen. Derzeit wissen sie in Zeil gar nicht mehr, wo sie die Verhafteten noch einsperren sollen. Das Loch ist völlig überfüllt.«
Abdias Wolff schüttelte den Kopf. »Und warum verführt der Teufel ausgerechnet in Zeil die Weiber?«
»Wenn wir das wüssten. Vielleicht tut er’s ja überall, nur anderswo hat man es noch nicht entdeckt. Jeder weiß doch, dass der Leibhaftige den Menschen stets und überall ins Verderben reißen will.« Schramm nahm sich noch ein Stück Gans.
»Du meinst, dass es hier zu Bamberg auch wieder Hexen geben könnte, nur wissen wir es noch nicht?« Johanna schaute ihren Verlobten ernst an.
»Ganz genau! Denk nur an die braungescheckte Ziege der alten Marga vom Riegeltor. Wie viel Milch hat die in den letzten Jahren gegeben, ganz Bamberg hat gestaunt! Und dann plötzlich – wie abgerissen. Steht im Stall und es kommt kein Tröpflein mehr! Keiner hat sich dabei etwas gedacht. Und dabei wissen wir doch alle, dass Hexen eine Axt in die Stalltür hauen und aus dem Stiel dann heimlich die Milch wegmelken. Und der junge Knecht vom Sandbüttner: Fällt auf einmal mitten bei der Arbeit um und ist tot. Kerngesund war der doch bis dahin! Ich wette, eine Drud hat ihm das Geschoss getan. Sie wickeln ein Steinchen in Blätter vom Blutkraut und werfen es an! Das gibt dann einen plötzlichen Schmerz, der in den Leib fährt und einen sogar umbringen kann! Ich sage euch, wir sind alle zu gutgläubig. Wir müssen auf der Hut sein, Tag und Nacht.«
»Jetzt ist aber Schluss mit dem Unsinn.« Abdias Wolff wurde richtig zornig. »Hans, du machst dem Antoni Angst und setzt ihm dummes Zeug in den Kopf. Bei uns in Bamberg gibt’s keine Hexen, das walte schon unser Fürstbischof. Wir sind alle gut katholisch, an uns beißt sich der Teufel sämtliche Zähne aus. Lass die Zeiler ruhig ihr Hexenvolk verbrennen, wenn es denn eines ist – hier in der Stadt wird so etwas nicht wieder geschehen! So, und jetzt will ich in Ruhe meine Gans essen.«
Das Abendessen verlief in recht düsterer Stimmung. Abdias Wolff sprach kein Wort mehr, Dorothea brütete ängstlich über ihrem Teller, und Antoni traute sich nichts mehr zu sagen. Johanna war froh, als ihr Vater endlich aufstand und zu Bett ging.
»Toni, du auch!«, kommandierte sie streng und fing an, den Tisch abzuräumen.
»Lass nur«, winkte Dorothea ab, »ich mach das schon. Geht nur ihr zwei ein bisschen vor die Tür.«
Johanna lächelte ihr dankbar zu, griff Hans bei der Hand und zog ihn zur Hintertür hinaus.
Im Apothekersgarten gab es einen kleinen Unterstand, wo im Sommer die Kräutersträuße abhingen und allerlei Behältnisse und Gerätschaften lagerten. Auch eine kleine Bank stand da, auf der sich die beiden jetzt niederließen. Es war kalt, Johanna zitterte, und Hans legte den Arm um ihre Schultern.
»Dein Vater ist ein rechter Dickkopf«, meinte er. »Er soll bloß vorsichtig sein mit dem, was er sagt. Zu Zeil beäugt man Leute, die solche Meinung äußern, schon ziemlich genau … «
»Was willst du damit sagen?« Johanna wurde es trotz der Umarmung ungemütlich.
»Na, der Pfarrer dort hat gepredigt, dass es nichts anderes als Ketzerei ist, wenn man nicht an das Hexenwesen glaubt.«
Johanna blieb eine Weile still und hing ihren Gedanken nach. Hexen, Druden, Unholden. Natürlich gab es sie. Genau wie es Engel und Teufel, Gott und die Heiligen gab. Wer wollte das bezweifeln? Aber damit ging es einem wie mit allen schlimmen Dingen: Sie fanden immer woanders statt, betrafen nie einen selber. Sie erinnerte sich an einen sonnigen Sommertag in ihrer Kindheit, als sie einer Moritatensängerin zuhörte, die auf dem Marktplatz ihr Lied vortrug. Die alte Zigeunerin hatte eine Tafel mit Zeichnungen aufgestellt, auf die sie bei jeder Strophe des Liedes mit einem krummen Stöckchen zeigte. Da konnte man Gestalten mitten im lodernden Feuer sehen, junge Weiber, die auf Ziegenböcken durch die Luft flogen, zerfledderte Alte, die um einen Kessel hockten und Gewitter brauten. Und den Teufel, gekleidet als edlen jungen Mann, der sich nur dadurch verriet, dass unten aus den Hosenbeinen Bocksfüße lugten. Sie hatte damals mit Gruseln und Gänsehaut der Ballade gelauscht, war danach stracks nach Hause zu ihrer Mutter gelaufen und hatte sich unter ihren weiten Röcken versteckt. Doch die hatte sie ausgelacht. »Hier gibt’s keine Hexen«, hatte sie gesagt, und Johanna war unendlich erleichtert gewesen. Aber nun? Waren die grässlichen Verbündeten Satans am
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