Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Zähnen und Krallen versuchte sie, den Frosch zurückzuerobern. Und bevor Johanna noch eingreifen konnte, stieß Toni einen Schmerzensschrei aus und ließ das Tier fallen.
»Sie hat mich gebissen, das Biest!«
Der Frosch rettete sich mit schnellen Sprüngen ins Gebüsch, Toni hielt sich die Seite und Mariele fing an, Rotz und Wasser zu heulen.
»Na, ihr seid mir eine schöne Gesellschaft.« Johanna verbiss sich das Lachen. »Komm, Mariele, du bissiges Geschöpf, lass den garstigen Frosch. Wo hast du den überhaupt gefunden, so spät im Jahr?«
»Den hab ich am Fluss aus dem Schlamm gegraben«, schluchzte das Mädchen.
Johanna schüttelte lächelnd den Kopf. »Da hättest du ihn aber lassen sollen, weißt du. Frösche überwintern nämlich im Schlamm, und es sind nützliche Tiere.«
Die Kleine greinte weiter.
»Die spielt immer mit Fröschen«, grinste Antoni, der schon wieder obenauf war.
»Hast du denn kein anderes Spielzeug?« Johanna strich der Kleinen über das struppige Haar. Die schüttelte den Kopf.
»Na, dann komm mal mit.«
Die Kleine tat Johanna leid. Die anderen Kinder mieden sie, weil sie so still und seltsam war, und zu Hause hatte das arme Ding auch nichts zu lachen. Ihre Mutter hatte sie ledig zur Welt gebracht, der Vater war unbekannt, und so lebten die beiden mit dem stets grimmig dreinblickenden Großvater zusammen, der zwar nichts Vernünftiges mehr arbeiten, aber dafür umso besser saufen konnte. Die Mutter, kaum älter als Johanna selbst, schuftete sich als Waschmagd beim Gerber den Buckel krumm, um die kleine Familie durchzubringen. Ihre Hände waren stets rot und zerfressen, das kam von der scharfen Säure des Urins, mit dem die Tierhäute behandelt wurden. Johanna gab Mariele deshalb oft einen Tiegel Salbe mit Wollfett und Arnika mit. Jetzt nahm sie das Mädchen bei der Hand und ging mit ihm in die Küche. Drinnen setzte sie die Kleine auf die Tischkante und putzte ihr erst einmal mit einem alten Lumpen die Nase. Dann drückte sie ihr einen rotwangigen Apfel in die Hand und sah zufrieden zu, wie Mariele herzhaft hineinbiss.
»Soll ich dir ein Häschen zaubern?«
Mariele kaute mit vollen Backen und nickte. Also holte Johanna eines der feinen leinenen Durchschlagtücher, die auf einem Wandbord lagen, und dazu eine kleine Handvoll Zunderschwamm zum Feueranmachen. Sie tat das Gewölle in die Mitte des Tuches, legte die Ecken übereinander, faltete und knotete, schüttelte und drehte, und im Handumdrehen war aus dem weißen Stück Stoff tatsächlich ein Hase entstanden, mit zwei langen Ohren, einer Schnuppernase und einem winzigen Stummelschwanz.
»Hier, nimm!«
Mariele, die den Apfel schon restlos verspeist hatte, griff mit einem seligen Lächeln nach dem Häschen und drückte es an sich. Dann hüpfte sie vom Tisch und rannte so schnell sie konnte heim, um ihren Schatz in Sicherheit zu bringen.
Doktorhaus am Grünen Markt,
Ende November 1626
Sag dem gelehrten Herrn Doktor dasselbe, was du uns dauernd erzählst!«
Die Moorhauptin schubste ihren Sohn ein Stückchen weit vor. Der Junge, ein pickelgesichtiger, dicklicher Lockenkopf mit ersten Bartansätzen, zupfte unglücklich an seiner Schuluniform herum und tapste wie ein ungeschickter Tanzbär von einem Fuß auf den anderen. Er war vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, und seine weite, talarähnliche Jacke und die schwarzen Kniehosen wiesen ihn als Jesuitenschüler aus. Cornelius sah ihn mit aufmunterndem Blick an. »Na?«
»Ja, also, das ist so … « Der Bub traute sich nicht recht und sah mit unsicherem Blick zu seiner Mutter hinüber, die ihm nun doch zu Hilfe kam. Mit einer flehentlichen Geste erhob sie die Hände und begann zu sprechen. Ihr Doppelkinn zitterte bei jedem Wort, und ihre Stimme vibrierte vor Aufregung.
»Unser Hansi redet seit zwei Wochen wirr. Er hat Phantasien, ich weiß gar nicht, wie er dazu kommt. Dabei ist er doch so ein Gescheiter, geht zur Gesellschaft Jesu in den Unterricht, und er lernt immer ganz brav und fleißig. Jetzt sind ihm wohl die Säfte zu Kopf gestiegen, ach, und wir machen uns solche Sorgen, dass es der Anfang einer schlimmen Krankheit sein könnte. Die Seilmacherin vom Kaulberg, bei der hat’s auch so ähnlich angefangen, und jetzt ist sie ganz blöde im Kopf und lässt alles unter sich … «
Cornelius runzelte die Stirn. »Langsam, Moorhauptin, eins nach dem andern. Was redet der Hansi denn so Merkwürdiges?«
»Ach Gott, von einem Buch, das von einem Doktor handelt, so wie
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