Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
riesigen Bücherregal eingenommen wurde. Ganz am Ende des Raumes standen zwei Arbeitstische, ein riesiger und ein kleinerer, davor etliche leere Stühle.
Ein hochgewachsener, ebenfalls ganz in Schwarz gekleideter Mann stand hinter dem größeren der beiden Tische und sortierte irgendwelche Papiere. Sein riesiger schneeweißer Bart, der in zwei dicken Strängen eingedreht die ganze Brust bedeckte, war so lang, dass er beinahe die Tischplatte berührte. Als die beiden Männer näher kamen, blickte er auf.
»Ah, die Herren Flock und Wolff in der Bamberger Hexensache. Man hat Euch schon avisiert. Tretet näher und nehmt Platz.« Stralendorff setzte sich ebenfalls. »Man hört hier vieles über die Prozesse, im Guten wie im Schlechten. Ich bin auch im Bilde über den Inhalt der bereits ergangenen Mandate des Reichskammergerichts. Aber nachdem Ihr hier seid, nehme ich an, dass diese nicht berücksichtigt wurden.«
Abdias Wolff nickte. Er war grau geworden im Lauf des letzten Jahres; die Zeit im Malefizhaus, die Flucht aus Bamberg und die Sorge um seine jüngste Tochter hatten ihn alt werden lassen. »Wir danken Euch dafür, dass Ihr uns so schnell empfangt, Exzellenz. Ihr habt recht, die Mandate aus Speyer waren wirkungslos, und der Reichshofrat ist unsere letzte Hoffnung. Die arme, geplagte Bürgerschaft von Bamberg wendet sich mit unserer Stimme an den Kaiser als obersten Richter im Reich, als Beschützer und Wahrer des Rechts. Gott helfe, dass Seine Majestät und die ehrwürdigen Räte ein Einsehen haben.«
Stralendorff sah den Apotheker ernst an. »Ob wir in der Sache bis zum Kaiser gehen können, wird sich entscheiden. Ich höre, es geht Euch vor allem um die Rettung Eurer Tochter?«
»Die gleichzeitig meine Frau ist«, antwortete Heinrich Flock. »Herr, es geht uns darum, diesen Wahnsinn zu beenden, der schon so viele Menschenleben gekostet hat. Und zwar so schnell, dass es für meine Frau nicht zu spät ist. Herr, zu Bamberg und Zeil sind inzwischen über achthundert Menschen verbrannt worden. Die Verhaftung erfolgte nicht aufgrund von Indizien oder gar Beweisen, sondern nur aufgrund von Hörensagen oder Beschuldigungen, die zumeist unter der Tortur gemacht wurden. Die Folter wird so unmenschlich praktiziert, dass alle Verhafteten gestehen müssen. Etwas anderes wird von den Hexenrichtern nicht akzeptiert. Niemand, der einmal beschuldigt ist, entkommt der grausamen Strafe. Das Bambergische Gericht gleicht einer Hölle, aus der es keine Erlösung gibt.«
Abdias Wolff schaltete sich ein. »Ich selbst, Exzellenz, bin zu Unrecht der Hexerei beschuldigt und verhaftet worden. Mit Gottes Hilfe konnte ich entkommen. Im Drudenhaus habe ich Menschen gesehen, die torquiert worden sind, und mit manchen sprechen können. Die Tortur ist ungeheuerlich, furchtbar. Der ganze Leib wird verderbt und so zugerichtet, bis die Leute keinem Menschen mehr gleich sehen. Wer die unmenschlichen Schmerzen aushalten muss, scheut irgendwann nicht einmal mehr den Tod. Die Gequälten gestehen alles, nur damit die Marter aufhört. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass unter hundert zum Scheiterhaufen verurteilten Hexen sich kaum eine wirklich Schuldige befindet.«
Stralendorff unterbrach den aufgeregten Redefluss des Apothekers. »Meine Herren! Ihr wisst, dass der Reichshofrat sich nur in Verfahrensfragen einmischen darf, also wenn der Prozess nicht rechtmäßig geführt wird oder wenn pure Willkür vorliegt. Deshalb sagt das Urteil auch nichts über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten aus, sondern nur über die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des angewandten Verfahrens. Die einzige Möglichkeit, ein Mandat zu erwirken, ist daher die Nullitätsklage. Und hierfür braucht Ihr handfeste juristische Argumente.«
Flock holte ein Stück Papier aus der Innentasche seines Mantels, faltete es auf und legte es auf den Schreibtisch. »Dies hier ist eine Aufstellung dessen, was die Bamberger Malefizkasse aus den Hexenprozessen eingenommen hat. Seht Ihr, hier zum Beispiel: Allein von April 1629 bis April 1630 sind es über 11 000 Gulden. Diese Summen kommen zustande, weil die Güter der Hingerichteten zum großen Teil konfisziert werden. Und das ist, soweit mir alle Juristen versichern, sogar im Fall eines crimen exeptum unzulässig.«
»Mehr noch«, flocht Abdias Wolff ein. »Das Geld fließt zum großen Teil in die Taschen der Hexenkommissare, die deshalb ein eigennütziges Interesse an der Verurteilung der Beklagten
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