Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Geschenk ist, aber es ist einfach zu gefährlich, so etwas im Haus zu haben. Wenn man es bei uns fände, dann würden wir sofort als Hexen eingeholt. Und der Mohr dazu.«
Toni nickte enttäuscht. Er nahm die Fratze und lief damit in die Küche. Eine Zeit lang stand er unschlüssig vor dem flackernden Feuer, das glatte, fein geschnitzte Holz in der Hand. Mit dem Zeigefinger fuhr er die Konturen der grimmigen, fremdartigen Züge nach und fand sie beinahe schön in ihrer gefährlichen Wildheit. So etwas konnte man doch nicht einfach verbrennen! Und außerdem war es ein Schutz, das hatte Caspar schließlich gesagt.
Er schlich nach oben.
Lange suchte er nach einem guten Platz für die Fratze, bis er schließlich auf die alte Truhe in der Wäschekammer kam, die immer noch, nach all den Jahren, die Kleider seiner Mutter enthielt. Niemand hatte es je übers Herz gebracht, die Sachen wegzuwerfen. Er öffnete den schweren Deckel und steckte sein Geschenk ganz tief unten in eine Ecke. Dann ordnete er die Stoffe wieder und schloss die Truhe. Zufrieden ging er danach schlafen. Er fühlte sich sicher. Jetzt würde sich der Teufel bestimmt nicht mehr ins Haus trauen.
Wien, Januar 1631
Heinrich Flock und Abdias Wolff erreichten die Kaiserstadt an der Donau nach einer mühseligen Winterreise durch Schlamm, Regen und Schnee. Es war in der zweiten Neujahrswoche, als ihre Mietkutsche endlich vor einer der vornehmeren Herbergen am Platz vor der neuen Franziskanerkirche hielt. Erschöpft von der langen Fahrt, bezogen die beiden ein Zimmer im ersten Stock, von dessen Fenster aus sie die wuchtige Kirchenfassade sehen konnten, das geschwungene Portal, die Spitzbogenfenster und die wunderbaren Giebelstatuen. Der Anblick gab ihnen Zuversicht; sie fühlten sich getröstet und in ihrem Vorhaben bestärkt. Die nächsten Wochen würden über Leben und Tod entscheiden.
Der Reichshofrat war vor ungefähr hundertdreißig Jahren fast gleichzeitig mit dem Reichskammergericht ins Leben gerufen worden. Gemeinsam mit diesem galt er als höchste juristische Berufungsinstanz im Reich, doch während das Kammergericht von den oft zerstrittenen Ständen dominiert war, blieb der Hofrat stets nur dem Kaiser verbunden. Er tagte jeweils dort, wo sich die Majestät aufhielt, und der Kaiser ernannte höchstselbst die Mitglieder. Sie rekrutierten sich ausschließlich aus katholischen Räten, meist aus den habsburgischen Erblanden. Wer an den Reichshofrat appellierte, wandte sich damit indirekt an den Kaiser als obersten Schutzherrn und Richter im Reich.
Wichtigster Mann des Reichshofrats war derzeit Peter Heinrich von Stralendorff, ein Freiherr aus alter mecklenburgischer Familie und profunder Kenner des Rechts. Er hatte nicht nur die Funktion des Ratsvizepräsidenten inne, sondern war außerdem noch Reichsvizekanzler und stand beim Kaiser in allerhöchstem Ansehen. Und er stand im Ruf, ein äußerst fortschrittlicher Denker zu sein. Die Nürnberger Juristen, mit denen sich Flock und Wolff ausgiebig beraten hatten, waren sich einig gewesen, dass der Weg über ihn führen müsse, wenn man Aussicht auf Erfolg haben wollte. Der Nürnberger Rat, der – allein schon wegen seiner protestantischen Ausrichtung und der daraus resultierenden Rivalität mit Bamberg – die Sache der Hexenprozessgegner unterstützte, hatte bereits ein Empfehlungsschreiben an Stralendorff abgeschickt, sodass die Hoffnung bestand, schnellstmöglich von diesem empfangen zu werden. Und so sandten die beiden Bamberger noch am Tag ihrer Ankunft ein schriftliches Ersuchen in Stralendorffs Amtsräume, in dem sie um eine Unterredung baten. Eine knappe Woche später erhielten sie die Einladung zur Audienz.
Die Arbeitsräume des Vizekanzlers lagen im alten Amalientrakt der Hofburg, wohin sich Flock und Wolff am 23.Januar in aller Frühe begaben. Sie betraten den Gebäudeflügel durch das große Tor unter dem massigen Uhrturm und meldeten ihre Ankunft einem der vielen Diener, die geschäftig mit Namenslisten umherliefen. Nach einer guten Stunde des Wartens in überfüllten Gängen trat endlich ein junger, geckenhaft aussehender Sekretär zu den zwei Bambergern und forderte sie auf mitzukommen. Der Schwarzgekleidete, dessen weißer Spitzenkragen bei jedem Schritt wippte, führte die beiden in ein riesiges, pompös ausgestattetes Zimmer. Eine ganze Fensterflucht auf der Außenseite ließ das gleißende Sonnenlicht ein, während die gegenüberliegende Wand komplett und bis zur Decke von einem
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