Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
haben.«
Stralendorff setzte sich eine kleine Brille auf die Nase und überflog die Aufstellung, während Heinrich Flock schon das nächste Papier auffaltete. »Und hier«, fügte er hinzu, »übergebe ich Euch eine weitere Liste. Darauf stehen die Namen sämtlicher Räte und Bürgermeister, die bereits ins Feuer geschickt wurden. Vielleicht muss ich Euch dazu die Verhältnisse zwischen bürgerlicher Obrigkeit und dem Fürstbischof erklären, wie sie in Bamberg herrschen … «
Stralendorff griff nach dem zweiten Schriftstück und studierte es. »Ich habe mich über die politische Situation in Bamberg bereits informieren lassen«, versetzte er.
»Dann wird Euch diese Namensliste davon überzeugen, dass es sich bei den Hexenprozessen nicht nur um einen vermeintlichen Kampf gegen teuflische Machenschaften handelt. Vielmehr geht es dem Fürstbischof darum, seine Widersacher in der Bürgerschaft allesamt auszumerzen.«
Der Vizekanzler sah Heinrich Flock sehr lange an. »Ihr erhebt schwere Vorwürfe«, meinte er ruhig.
»Das ist mir klar.« Flock hielt Stralendorffs Blick stand.
»Wenn diese Prozesse unablässig und eifrig weiter betrieben werden«, das war wieder Abdias Wolff, »dann ist heute niemand, gleich welchen Geschlechtes, in welcher Vermögenslage, Stellung und Würde er sei, mehr sicher. Sofern er nur einen verleumderischen Feind hat, der ihn verdächtigt und in den Ruf bringt, ein Zauberer zu sein, ist er verloren. Herr von Stralendorff, die Verhältnisse steuern auf ein entsetzliches Unglück zu! Schon sind in Deutschland die Kerker voller Gefangener. Nehmen wir einmal an, sie seien alle wirklich Hexen: Man wird sie auf die Folter spannen, damit sie ihre Mittäter bekennen. Ihr Meister, der Teufel, weiß, dass alle, die sie nennen werden, auch zur Folter geschleppt werden. Weshalb sollte da er, der von Anfang an ein Menschenmörder war, nicht dafür sorgen, dass sie diejenigen nennen, deren Untergang er am heftigsten begehrt? Könnte er sich einen bequemeren Weg ersinnen, Schaden anzurichten und in ganz Deutschland zu wüten? Damit womöglich die Protestanten den Krieg gewinnen?«
Stralendorff beugte sich vor. »Mich müsst Ihr nicht mehr überzeugen, Meister Wolff. Ich selber sehe die Entwicklung der letzten Jahre schon lange mit Sorge. Und ich bin der Überzeugung: Mit Feuerbränden kann man diese Hexenplage, was es mit ihr auch auf sich haben mag, nicht vertilgen. Allerdings können wir auch nicht generaliter alle Prozesse behandeln. Es kann im Augenblick nur darum gehen, am Beispiel des Falles Eurer Tochter eine etwaige Unzulässigkeit der Bamberger Verfahren zu beweisen. Wenn der Reichshofrat dem zustimmt, dann kann ein Mandat sine clausula herauskommen, also eine Entscheidung, die die Prozesse für unrechtmäßig erklärt. Eure Tochter wäre damit zumindest vorläufig entlastet.«
»Und wenn der Fürstbischof auch dieses Mandat missachtet wie die des Reichskammergerichts vorher?« Heinrich Flock zweifelte.
»Dann müsste ein Poenalmandat folgen, das dem Beklagten ein Bußgeld auferlegt.« Stralendorff erhob sich, ging zu einem der Fenster und sah nachdenklich hinaus. »Es wird nicht einfach werden. Die Gegenseite wird natürlich damit argumentieren, dass Hexerei ein crimen exeptum sei, ein außergewöhnliches Verbrechen also, dem man auch mit außergewöhnlichen Mitteln begegnen muss. Ich würde Euch raten, auch die kirchlichen Autoritäten einzuschalten. Besprecht Euch mit dem Reichshofrat Johann Anton von Popp; ich werde ihn mit der Angelegenheit betrauen. Verfasst mit ihm zusammen ein Schreiben an den päpstlichen Nuntius am Kaiserhof, Kardinal Giovanni Battista Pallotto. Oder noch besser, an Pater Lamormaini, den Beichtvater des Kaisers. Es wird ganz entscheidend sein, welche Position die Jesuiten in der Hexenfrage einnehmen.« Der Hofrats-Vizepräsident strich sich nachdenklich über den üppigen Bart.
Auch die beiden Besucher erhoben sich. »Meint Ihr, wir haben Aussicht auf Erfolg?«, fragte Heinrich Flock besorgt.
Stralendorff wandte sich um. »Hoffnung besteht.« Er breitete die Arme aus. »Aber versprechen kann ich Euch nichts. Nichts außer meiner Unterstützung. Wir müssen sehen.«
»Aber wir haben nicht mehr viel Zeit, Exzellenz.« Wolff fuhr sich müde über die Augen. »Meine Tochter ist unschuldig. Im Mai wird sie, so Gott will, ihr Kind zur Welt bringen. Danach droht ihr das Feuer.«
»Ich werde versuchen, Eure Sache schnell auf die Tagesordnung zu setzen. Wo logiert
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