Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
während Kircher plötzlich ganz ruhig wurde. Er hatte jetzt nichts mehr zu verlieren. Sein Rücken straffte sich, und mit fester Stimme begann er zu erzählen.
Bamberg, zur selben Zeit
Cornelius sprang mit einem weiten Satz von dem mit Weinfässern beladenen Schelchen an Land, der ihn aus Sommerach hergebracht hatte. Nach all den schlimmen Monaten war die Seuche endlich vorbei, und der Fürstbischof von Würzburg hatte ihm Erlaubnis gegeben, nach Bamberg zurückzukehren. Seine Hand tastete nach dem prallgefüllten Zugbeutel an seinem Gürtel – Philipp von Ehrenberg hatte ihn großzügig entlohnt. Eigentlich war ihm Geld nicht wichtig, aber nun freuten ihn die hundertfünfzig Gulden doch, die er mitbrachte. Schließlich hatte er sich fest vorgenommen, bald eine Frau ins Doktorhaus heimzuführen und mit ihr eine Familie zu gründen. Sofern die Auserwählte wollte …
Cornelius beschloss, gar nicht erst nach Hause zu gehen, sondern Johanna gleich zu überraschen. Er schulterte sein Bündel und legte die kurze Strecke bis zur Mohrenapotheke im Laufschritt zurück.
Merkwürdig, die Tür war schon verschlossen, obwohl es noch eine Stunde bis Sonnenuntergang war. Der junge Arzt klopfte, trat ein Stück zurück und sah nach oben. Ah, dort droben stand ein Fenster halb offen. Er tat einen lauten Juchzer, doch nichts geschah. Sie wird im Garten sein, dachte er, und lief um die Ecke. Das Tor war nur angelehnt; er schlüpfte hindurch und ging durch die Kräuterbeete zur Hintertür. Wenigstens diese war offen, und er trat ein. Ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn, eine seltsame Vorahnung.
In der Küche herrschte Unordnung. Offenbar war schon seit Tagen kein Feuer mehr geschürt worden, Geschirr stapelte sich, in einer gusseisernen Pfanne wuchs grüner Schimmel. »Hanna?«, rief er. »Toni?« Keine Antwort.
In der Apotheke hatte man sämtliche Schubladen aufgerissen, Krüge und andere Gefäße standen überall durcheinander. Die Angst packte Cornelius mit kalten Fingern. Er stürmte über die Treppe nach oben, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend. Auch in den Schlafzimmern war offenbar alles durchsucht worden; Bettzeug und Kleider lagen verstreut.
»Hanna? Toni?« Er sah in jeden Raum, sogar in den Abtritt, und seine Panik wuchs. Dann hörte er ein Geräusch und fuhr herum. In der Luke, die zum Dachboden führte, erschien ein zerstrubbelter blonder Haarschopf. Ein unterdrückter Aufschrei, dann war Toni auch schon die Leiter heruntergeklettert und warf sich schluchzend in seine Arme.
Es dauerte eine Weile, bis der Junge sich so weit beruhigt hatte, dass er sprechen konnte. »Sie haben die Hanna geholt«, sagte er mit dünner Stimme, »vor zehn Tagen.«
Cornelius stöhnte auf. Nahm der Schrecken denn nie ein Ende? Musste dieser Wahnsinn immer weitergehen? Ein ohnmächtiger Zorn erfasste ihn, machte ihn blind, ließ ihn taumeln. Er biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste.
»Sie ist im Drudenhaus«, berichtete Toni. »Ich hab der Köchin vom Großkopf Geld gegeben, damit sie ihr jeden Tag Essen schickt.«
In Cornelius’ Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was konnte er nur tun? Diesmal würde er nicht zum Fürstbischof gehen können. Er wagte kaum, zu fragen: »Hat man … hat man sie schon …?«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich glaub nicht. Die Köchin hat gestern einen von den Wächtern nach ihr fragen lassen, und der hat gesagt, es geht ihr gut. Sie isst auch alles auf.«
»Und du?«, fragte Cornelius. Ihm war sofort aufgefallen, wie mager und blass Toni war. »Hast du in letzter Zeit überhaupt was gegessen?«
Antoni zuckte die Schultern und schniefte. »Nein. Ja. Ist doch egal.«
»Ist es nicht. Du kommst jetzt mit zu mir, und die Lisbeth kümmert sich um dich. Ich möchte wetten, sie hat Osterbrot gebacken.«
Toni war unendlich erleichtert. Die ganze Zeit über war er so mutterseelenallein gewesen. Mit dem Ärmel wischte er sich die Tränen aus den Augen und ließ sich dann gern an der Hand nehmen und ins Doktorhaus führen, wo ihn Cornelius der alten Haushälterin übergab.
Er selbst brachte kein Stückchen Brot hinunter. Die Angst um Johanna schnürte ihm die Kehle zu, machte ihn ganz starr und stumm. Er sah sie vor sich, wie damals in der Verhörstube, geschoren, bleich, zitternd, und sein Herz krampfte sich zusammen. O Gott, er liebte sie doch, und er brauchte sie so sehr! All seine Zukunftspläne, die in den letzten Wochen und Monaten immer deutlicher vor seinen Augen gestanden
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