Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
für Kunst und die Wissenschaften und schrieb – wenn er guter Laune war – leidlich gute Gedichte. Jetzt saß er an seinem Frühstückstischchen und biss misslaunig in eine getrocknete Feige. »Widerliches Zeug!«, beschwerte er sich. »Warum muss mir der Arzt ausgerechnet eine Frucht verordnen, deren Kerne zwischen den Zähnen knirschen und die zäh ist wie Schweineleder?«
»Weil es Eurer Verdauung dient.« Sgrenella war wieder hinter den Papst getreten. In einer Hand hielt er das Tageskalendarium, in der anderen einen kleinen silbernen Kamm. »Möchten Eure Heiligkeit den Ablauf des Vormittags besprechen?«
»Ja, ja.« Urban nickte. »Was ist für heute vorgesehen?«
Der Camerlengo räusperte sich. »Um neun Uhr eine Unterredung mit Bernini. Er hat die ersten Skizzen für Euer zukünftiges Grabmal im Petersdom fertig. Und es gibt einige Fragen zum Tabernakel von St. Peter. Außerdem hat er wieder Ideen für neue Brunnen.«
Urban nickte. Bernini war der Bildhauer und Architekt seines Vertrauens. Seit seiner großartigen Arbeit für den Petersdom liebte der Papst den Ausnahmekünstler fast wie einen Sohn. Die Aussicht, ihn gleich zu treffen, hob seine Stimmung merklich. »Weiter?«, fragte er.
»Um zehn Uhr Kardinal Spada.«
Urban verzog das Gesicht. »Was will der Fettwanst?«
»Eine Angelegenheit, die das Sant’Offitio betrifft. Dort soll auf Antrag der Gesellschaft Jesu die Lage der katholischen Kirche in Deutschland behandelt werden.«
»Hm. Schwierig.« Der Papst kaute immer noch auf seiner Feige herum.
»Es geht wohl hauptsächlich um diese Hexenprozesse, die seit einigen Jahren um sich greifen.«
Urban schüttelte den Kopf. »Merkwürdiges Volk, diese Deutschen! Was soll dieser Hexenunsinn bloß?« Als Italiener konnte der Papst die Hexenverfolgungen nördlich der Alpen nur mit Anstrengung nachvollziehen. Hexen waren ihm fremd, und wenn, dann brachte er sie mit Liebestränken und harmlosem Hokuspokus in Verbindung. Und mit dem Dreikönigstag, an dem die garstige Hexe Befana den braven Kindern Geschenke und den bösen Kindern Kohle brachte, wie es in Italien seit jeher der Brauch war. Urban erinnerte sich an einen kleinen Reim aus seiner Kindheit: La Befana vien di notte / con le scarpe tutte rotte / il cappello alla romana / viva, viva la Befana. Für einen Augenblick erschien ein winziges Lächeln auf seinem Gesicht. Natürlich wusste er von den Verfolgungen im Norden, und bisher hatte er sich aus der Sache geflissentlich herausgehalten. Die deutschen Bischöfe würden schon wissen, was sie da taten. Schließlich befand sich das Land in einer besonderen Krise: Da gab es zum einen den Protestantismus, zum anderen auch noch den Krieg. Die Kirche und der wahre Glaube mussten verteidigt werden.
»Was haltet Ihr von Hexen?«, fragte Urban seinen Kammerherrn.
Sgrenella zuckte die Schultern. »Nun ja, Euer Heiligkeit, die Bibel fordert ihre Vernichtung. In Deutschland sollen sie es damit, wie man hört, allerdings ein wenig übertreiben. Selbst die Gesellschaft Jesu scheint die Prozesse nicht mehr bedingungslos zu unterstützen … «
»Ah, die Jesuiten?« Urban hielt dem Camerlengo das Kinn hin und ließ sich das Bärtchen kämmen.
»Damit wären wir beim nächsten Termin. Mittagessen mit dem Generalvikar um zwölf Uhr.«
»Schön.« Der Papst griff sich ein Stückchen Brot, auf das er ein Bröckchen Käse und eine schwarze Olive bugsierte. Er hatte bei den Jesuiten studiert und schätzte Vitelleschi als klugen und unterhaltsamen Gesprächspartner – obwohl die Gesellschaft Jesu insgesamt wegen ihrer Habsburgerfreundlichkeit und ihres rasant wachsenden Einflusses sein Missfallen erregte. »Danach werde ich versuchen, ein Mittagsschläfchen zu halten. Drei Stunden Schlaf in der Nacht sind einfach zu wenig.« Er schob das Brotstückchen in den Mund und stand auf, um sich von seinen Leibdienern ankleiden zu lassen. »Und denkt an die Sache mit den Vögeln!«
Damit begab er sich zurück ins Schlafzimmer.
Eine Woche später betrat Petrus Kircher an der Seite des Generalvikars den Palazzo der Adelsfamilie Porcari. Er war aufgeregt wie selten in seinem Leben: Vitelleschi hatte für diesen Abend ein Treffen mit dem Papst arrangiert. Weil es inoffiziell und unauffällig stattfinden sollte, hatte man sich geeinigt, anlässlich eines Banketts zusammenzukommen, das die Porcari jedes Jahr in der Woche nach Pfingsten veranstalteten.
»Also vergesst nicht: Ihr tretet erst hinzu, wenn ich Euch herbeiwinke.
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