Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
hatten – jetzt lagen sie in Trümmern. Cornelius konnte sich der furchtbaren Erkenntnis nicht entziehen: Sie würden Hanna töten. Und vorher würden sie sie unendliche Qualen leiden lassen. Die Hoffnungslosigkeit schlug über ihm zusammen wie eine riesige Welle. Er stand vom Tisch auf, ging in den kleinen Garten und weinte, weinte wie ein Kind. Lieber Gott, betete er, lass ein Wunder geschehen.
Am nächsten Morgen besuchte er all diejenigen der alten Freunde, die noch übrig waren, es waren wenig genug. Er erfuhr den Grund für Johannas Verhaftung, worauf ihn sein nächster Weg auf den Kaulberg führte. Vielleicht konnte er als Arzt die Büttnersfamilie davon überzeugen, dass ihr Kind eines natürlichen Todes gestorben war. Aber die Werkstatt war verschlossen, und auch auf beharrliches Klopfen öffnete niemand. Ein alter Mann aus dem Haus gegenüber, der gerade seinen Nachttopf aus dem Fenster leeren wollte, winkte ihm zu und entblößte dabei seinen zahnlosen Oberkiefer. »Spart Euch die Mühe«, keckerte er. »Die lassen keinen rein. Die beten bloß noch und haben Angst, dass sie der Teufel holt. Verrücktes Volk!«
Niedergeschlagen ging Cornelius nach Hause, immer noch fieberhaft nach einem Ausweg suchend. Ja, ein winziges Fünkchen Hoffnung bestand noch: Vor Kurzem, so hatte man ihm am Morgen erzählt, war aus Wien ein Brief angekommen, in dem Heinrich Flock und Abdias Wolff vermeldeten, dass der Reichshofrat die Bamberger Angelegenheit behandeln würde. Die Aussichten auf ein Mandat stünden nicht schlecht. Gut, das würde vielleicht Thea noch helfen können – wenn Cornelius richtig rechnete, würde sie ihr Kind im Mai bekommen und dann noch zwei Monate stillen dürfen, bevor man ihr den Prozess machte. Für Johanna dagegen kam ein solches Mandat – wenn es denn kam – in jedem Fall zu spät. Und was Pater Kircher bei den Jesuiten ausrichten konnte? Es hieß, er sei in Rom, aber niemand wusste Genaueres.
Daheim setzte sich Cornelius in die Stube und grübelte stundenlang vor sich hin. Irgendwann fiel ihm nichts mehr ein. Er holte sich einen Krug mit Kräuterbranntwein, schenkte sich großzügig ein und kippte das scharfe Zeug.
»Saufen hilft auch nichts.« Antoni hockte sich zu ihm. »Hat mein Vater immer gesagt.«
»Ich weiß.« Cornelius schob das Schnapsglas weg.
Der Junge sah ihn an. »Was machen wir jetzt? Wir müssen doch was machen!«
Er zuckte die Schultern. Und dann bäumte sich etwas in ihm auf. Antoni hatte recht. Er durfte nicht zulassen, dass man die Frau, die er liebte, folterte und verbrannte. Es musste eine Möglichkeit geben, sie aus dem Drudenhaus herauszuholen.
Toni sprach seine Überlegungen als Erster aus. »Wir könnten Landsknechte bezahlen, damit sie Hanna befreien!«
»Sind denn welche in der Stadt?«
»Nein, aber … «
Cornelius trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wir haben nicht viel Zeit«, sagte er mehr zu sich selbst. »Sie können jeden Tag mit der peinlichen Befragung beginnen. Wir müssen hinein, die Wächter ausschalten und dann Johanna aus ihrer Zelle holen.«
»Die Malefizknechte sind bewaffnet und können kämpfen. Und es sind immer zwei. Wie willst du an denen vorbeikommen?« Toni war skeptisch.
Cornelius nickte. »Du hast recht. Mit blanker Gewalt können wir gegen die Wachen nichts ausrichten. Uns muss was anderes einfallen … «
»Wir machen sie betrunken! Und dann klauen wir ihnen die Zellenschlüssel.«
»Es geht nicht nur darum, deine Schwester herauszuholen, Toni. Wir müssen auch verhindern, dass man hinterher die ganze Stadt nach ihr durchkämmt. Weißt du noch, als vor einem Jahr der junge Veit Rechenberger bei seiner Verhaftung geflohen ist? Sie haben die Tore geschlossen, im Hafen jeden Kahn vor dem Auslaufen durchsucht. Nach drei Tagen hatten sie den armen Kerl wieder.«
Antoni ließ den Kopf hängen. »Wir schaffen das nicht«, meinte er traurig.
»Wir müssen es schaffen.« Cornelius schenkte sich in seiner Verzweiflung noch einen Schnaps ein. »Wir dürfen nicht zulassen, dass sie als Hexe verbrannt wird!«
»Wär sie doch bloß eine Drud«, stieß Toni plötzlich hervor. »Dann könnte sie sich hinaushexen oder davonfliegen!«
Cornelius starrte den Jungen an. In seinem Gehirn arbeitete es, und eine verrückte Idee nahm Gestalt an. Zunächst verwarf er sie wieder, doch dann … »Sag, Toni, du kennst dich doch in der Apotheke gut aus?«, fragte er. »Habt ihr auch Tollkirsche?«
»Tollmännle? Freilich. In der
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