Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
Zukunft zu denken. Sie wollte ihr Glück auskosten, jeden Augenblick mit ihrem Kind genießen.
Bis zu dem Tag, an dem sie kamen.
Barthel Zwick sperrte die Tür zu ihrer Zelle auf, und ein Blick in sein Gesicht sagte ihr, dass es so weit war. Sie schrie auf, presste die schlafende Kleine fest an sich und wich bis in die Ecke des Raumes zurück. »Noch nicht«, bettelte sie, »noch nicht, habt doch Mitleid!«
Die beiden Stadtknechte, die hinter Zwick hereingekommen waren, schüttelten finster die Köpfe. »Befehl der Malefizkommission«, schnarrte einer.
»Es ist noch zu früh«, schluchzte Thea, »sie braucht doch noch die Muttermilch. Lieber Gott, sie kann doch nichts dafür, ein unschuldiges Kind, das nichts will als leben.«
»Stellt Euch nicht an, Flockin, gebt her.« Die Knechte traten auf sie zu. Thea schüttelte verzweifelt den Kopf. Einer der Büttel wollte ihr das Kind aus den Armen reißen, da trat Barthel Zwick dazwischen. Er sprach leise mit den Knechten, die daraufhin den Raum verließen. Dann ging er zu Thea.
»Ihr müsst jetzt stark sein«, sagte er, und seine Stimme war rau vor Mitleid. »Es hat doch keinen Zweck.«
»Wo bringen sie meine Kleine hin?« Theas Stimme zitterte.
»Zum Ratsherrn Pankraz Lorbeer und seiner Frau, die haben schon eine Bäuerin als Amme eingestellt.« Der Wächter streckte die Arme aus. »Lasst mich sie nehmen.«
Aus Theas Augen schossen die Tränen. Sie sah auf die Kleine hinab, die zufrieden und mit geschlossenen Lidern an ihrem Däumchen nuckelte. Sie küsste ihr Kind auf die Stirn. Es war so unendlich schwer. Barthel Zwick nahm ihr den Säugling sanft aus den Händen. Dann drehte er sich um und ging schnell hinaus.
Thea rutschte mit einem Aufschluchzen an der Wand entlang zu Boden und barg das Gesicht in den Händen.
Am Abend, nachdem es dunkel geworden war, kamen die Büttel ein zweites Mal, diesmal, um sie selber zu holen und ins Malefizhaus zu bringen. Man hatte die Männer zu strengster Geheimhaltung verpflichtet. Niemand sollte wissen, dass der Prozess gegen die Flockin jetzt schon in aller Eile fortgesetzt wurde. Herrenberger, Vasold und Schwarzcontz hatten dringende Anweisung, innerhalb von einer Woche zu einem Ergebnis zu kommen; auf welche Weise, das hatte man ihnen mitgeteilt, blieb ihnen überlassen. Jedenfalls gaben die schriftlichen Protokolle später über das Procedere der Befragungen keinen Aufschluss.
Eine Woche später ließen die Hexenkommissare das Geständnis der Dorothea Flock an der Rathaustür anschlagen. Sie hatte zugegeben, vor etlichen Jahren von einem Studenten, der im Haus ihres Vaters übernachtet hatte, verführt worden zu sein. Dieser Student habe sich später als der Teufel zu erkennen gegeben, und sie habe sich ihm versprochen. Sie habe Gott und der Heiligen Dreifaltigkeit abgeschworen und statt dessen Satan angebetet. Auch habe sie Hostien geschändet. Eine beigefügte Liste der angeblichen Komplizen, die sie als Hexe beschuldigt hatten, enthielt die Namen von fünfzehn Personen, die selber alle bereits hingerichtet worden waren. Darunter die Frau des Kanzlers Haan, Töchter aus verschiedenen Ratsfamilien und zwei Ratsherrn.
Cornelius wusste nicht, wie er es Johanna beibringen sollte. Eigentlich hatte er vorgehabt, am Nachmittag zu Hause Patienten zu empfangen. Aber dann hatte er den Anschlag gelesen. Jetzt brachte er es nicht fertig, gleich heimzugehen. Er zermarterte sich das Hirn, wie man Thea jetzt noch retten könnte, aber die Lage war aussichtslos. Seit Hannas Flucht wechselten sie im Malefizhaus in der Nacht alle zwei Stunden die Wachen, und außenherum gingen ständig zwei Stadtknechte mit Hunden auf Kontrolle. Tagsüber war eine Flucht ohnehin unmöglich. Und wer ahnte schon, in welcher Verfassung die arme Thea inzwischen war. Vielleicht hatte sie freiwillig gestanden und war unversehrt, aber vielleicht hatte man sie auch schwer gefoltert und sie lag siech in ihrer Zelle. Cornelius fiel keine Lösung ein, sosehr er auch danach suchte. Ziellos wanderte er durch die Gassen, bis er schließlich gegen vier Uhr schweren Herzens seine Schritte zurück zum Doktorhaus lenkte.
Vor der Tür wartete schon der alte Appler auf ihn, ein Glas mit dunkelgelbem Urin in der Hand. »Gut, dass Ihr endlich kommt, Doktor Weinmann«, schnarrte er. »Ich hab schon wieder diese Schmerzen im Kreuz.«
Cornelius ließ ihn ein und ging mit ihm ins Untersuchungszimmer. Er konnte nicht sagen warum, aber der Alte von gegenüber war ihm zuwider.
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