Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
einen kleinen Warteraum geführt. Dort übergab er seine Post dem bischöflichen Trabanten Christian mit den Worten, dass periculi in mora, also Gefahr in Verzug sei.
Der junge Christian eilte sofort ins Ankleidezimmer des Fürstbischofs, die Ledertasche mit dem päpstlichen Mandat ungeöffnet in der Hand. Dornheim war nicht allein; der Weihbischof Friedrich Förner saß bei ihm und redete eindringlich auf ihn ein. Der Trabant wusste, dass sein Herr wieder schwer an der Melancholie litt und eigentlich so früh am Morgen nicht gestört werden durfte, doch was der Bote gesagt hatte, hatte dringlich geklungen. Also hielt er dem Fürstbischof mit den Worten »Eminenz, eine wichtige Nachricht« die Ledertasche hin.
Dornheim langte hinein und zog den Inhalt, einen großen Umschlag, hervor. Sein Blick fiel auf das Siegel des Papstes, und ein Zittern überlief ihn. Wortlos hielt er das Mandat Förner hin.
Der Weihbischof erbleichte. Er war sich so sicher gewesen! Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit, dass Lorenz Stürmer bei der Erfüllung seines Auftrags versagen würde! Dennoch, Förner brauchte selbst in dieser kritischen Situation keine Sekunde, um eine Entscheidung zu fällen. Er drückte das Mandat dem Trabanten wieder in die Hand. »Hört gut zu, junger Freund«, sagte er leise und deutlich. »Ihr nehmt dieses Schreiben, geht damit hinaus und kommt in einer Stunde wieder.«
»Ja, aber … «
»Geht!«, zischte Förner. »Ihr wart überhaupt nicht hier, habt Ihr verstanden?« Er hob den Zeigefinger und sah den verblüfften jungen Mann durchdringend an. »In einer Stunde, nicht eher!«
Eine Stunde später überreichte der Trabant Christian das päpstliche Mandat vor etlichen Zeugen dem überraschten Fürstbischof.
Zu dieser Zeit war Dorothea Flock schon tot.
Bamberg, Ende Oktober 1631
Sans Schramm war ein Gespenst. Wie ein Geist ging er seiner Arbeit nach, stand morgens auf, ging abends schlafen, aß, trank, erleichterte sich. Seit man Maria Dietmayer verhaftet hatte, funktionierte er ähnlich wie eine Marionette. Man sah ihm von außen nicht an, dass in seinem Kopf die Gedanken wirbelten.
Es konnte doch nicht sein, dass auch noch seine zweite Verlobte eine Hexe war! Wieso traf es schon wieder ihn? Zum zweiten Mal war alles zerstört, alles. Sein Leben, seine Zukunft, seine Pläne. Mit Maria als Frau wäre er zu einem der reichsten Männer Bambergs geworden. Ein Platz im Rat wäre ihm früher oder später sicher gewesen. Er hätte Kinder mit ihr gehabt und eine sorgenfreie Existenz. Vorbei, alles vorbei! Er würde alleine in diesem riesigen Haus sitzen. Und er würde immer ein kleiner Stadtschreiber bleiben … wenn überhaupt! Denn Schramm konnte die Zeichen durchaus deuten. Er wusste von dem kaiserlichen Mandat, und er wusste, dass die Schweden vorrückten. Die Dinge würden sich möglicherweise ändern, und zwar bald. Dann würden alle, die an den Hexenprozessen irgendwie beteiligt waren, keinen guten Tag mehr in der Stadt haben. Erst gestern hatte wieder einer vor ihm ausgespuckt. Schramm hatte ihn erkannt, es war der Lehmputzer Heinlein vom Kaulberg gewesen, dessen Frau und Tochter man im letzten Jahr verbrannt hatte. Die Stimmung in der Stadt war längst gegen die Prozesse umgeschlagen; nur die Angst hielt die Leute noch zurück. Schon waren nachts Eier und faules Obst gegen das Haus eines der Hexendoktoren geflogen, hatte man wiederholt stinkende Haufen mit Exkrementen vor den Türen etlicher Einholer entdeckt. Und Schramm hatte oft das Gefühl, dass ihn böse Blicke auf Schritt und Tritt verfolgten, wenn er durch die Stadt ging.
Aber das alles war es nicht allein. Es war auch die menschliche Enttäuschung, die Schramm quälte. Sein Engel, sie hatten seinen Engel geholt! Wie hatte er sich nur so sehr in ihr täuschen können? Hatte übersehen können, dass sich unter ihrer äußerlichen Maske der Schönheit und Unschuld ein Dämon verbarg? Denn natürlich war auch sie zu Recht verhaftet worden, wie all die anderen. All die Menschen, deren Qualen er teilnahmslos mit angesehen, deren verzweifelte Geständnisse er sorgfältig aufgeschrieben hatte, sie alle waren schuldig gewesen! Druden, Unholden, Zauberer! Niemals war ihm auch nur der geringste Zweifel gekommen, hatte er den Schimmer einer Unsicherheit gespürt. Der Herr würde nicht zulassen, dass man einem Schuldlosen auch nur ein Haar krümmte, das war seine feste Überzeugung gewesen. Und dennoch, so spürte Schramm, nagte jetzt ein
Weitere Kostenlose Bücher