Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
winziger, hartnäckiger Zweifel an ihm wie ein kleines Tier.
O ja, man hatte sie gefoltert. Er hatte ihre Schreie gehört, während er die Aussagen anderer Delinquenten protokolliert hatte, die Feder in der Hand, die Augen blind vor Tränen. Tränen, von denen er nicht wusste, ob es welche der Wut oder des Mitleids waren. Wenigstens hatten die Hexenkommissare davon abgesehen, ihn beim Fall Dietmayer als Schreiber einzusetzen. Überhaupt sahen sie ihn in letzter Zeit recht scheel an. Erst die Sache mit Johanna, die es so hingestellt hatte, als habe er sie geschwängert! Diese Teufelin! Satans Lieblingshexe war sie, so viel stand fest! Hatte ihr der Höllenfürst doch nicht nur bei der ersten Beschuldigung geholfen, sondern sie nach der zweiten sogar selber aus dem Gefängnis befreit! Und jetzt Maria. Das musste ja auf ihn zurückfallen. Jetzt hassten ihn nicht nur die Leute, sondern auch noch die Hexenkommissare! Dabei hatte er sich niemals etwas zuschulden kommen lassen, im Gegenteil! Er hatte sich für die Prozesse aufgearbeitet, hatte sich täglich die Finger wund geschrieben, hatte viele Stunden länger geschuftet, als eigentlich nötig gewesen wäre. Die Schreiberei war sein Lebensinhalt, alles andere unwichtig gewesen. Und keiner dankte es ihm!
So ging es in Schramms Hirn wild durcheinander, als er am Mittwoch vor Simonis et Jude in aller Frühe seinen Dienst antrat. Heute war wieder eine peinliche Befragung des Mohren Caspar angesetzt, und das war keine schöne Aussicht. Was man mit diesem schwarzen Heiden anstellte, war selbst für Schramm, der schon alles gesehen hatte, ein bisschen zu arg. Und es war geradezu unglaublich, was der Mensch aushielt! Sogar der Henker hatte kürzlich gesagt, es werde ihm bald zu viel. Schrauben, Ruten, Zug und Bock, Brennen mit Schwefel, Kalkbäder, das gefältelte Stübchen! Die letzten vier Wochen hatte man den Delinquenten schließlich in Ruhe lassen müssen, weil zu befürchten war, dass er sonst sterben würde, bevor er ein Geständnis ablegen konnte. Der Henker und Doktor Eberlein hatten alle Hände voll zu tun gehabt, den Mohren wieder so hinzupäppeln, dass er eine neue Befragung durchstehen würde. Und heute war es wieder so weit.
Schramm klopfte an die Tür des Malefizhauses und wurde eingelassen. Schon wollte er den langen Flur zum Folterhäuschen durchgehen, als ihn einer der Wächter am Ärmel zupfte. »Herr Scriptor, da will Euch jemand sehen«, flüsterte er.
Schramm erstarrte.
»Ich hab’s der Kleinen versprochen«, raunte der Wächter ihm zu. »Das arme Ding dauert mich. Kommt, von den anderen ist noch keiner da.«
Schramm zögerte, aber der Malefizknecht zog ihn einfach die Treppe hoch. »Ich tu das nur, weil Ihr es seid, Herr Scriptor«, sagte er und sperrte gleich die erste Zelle auf. Schramm trat ein.
Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er sie, oder besser gesagt, das, was aus ihr geworden war. Sie hob den Kopf. Ihr schönes blondes Haar hatte man geschoren, sie war kahl. Der Peinkittel, den sie trug, war zerfetzt und voller getrockneter Blutflecken. Schramm war unfähig, sich zu rühren, er starrte sie nur an. Marias zerbissenen Lippen entfuhr ein kleines Wimmern. Dann stand sie mit großer Mühe auf und wankte auf Füßen, die mit blutigen Lumpen umwickelt waren, auf ihren Verlobten zu. Er musste sie auffangen. Sie wog fast nichts mehr. Langsam ging er mit ihr in die Knie. O Gott, dachte er, o Gott, o Gott.
»Hilf mir, Hans«, wimmerte sie, »bitte, bitte hilf mir. Ich will nicht sterben.«
Er konnte nichts sagen.
»Ich kann doch nichts gestehen«, flüsterte sie mit heiserer Stimme, »wenn es nichts zu gestehen gibt.«
Sie sah die Frage in seinen Augen. »Du glaubst es doch nicht, oder? Heilige Muttergottes, du doch nicht, Hans. Du weißt, dass ich unschuldig bin.« Sie krallte ihre zerquetschten, blutig geschwollenen Finger so fest in seine Schultern, dass es ihm wehtat. »Warum tun sie mir das an? Warum lässt der Herrgott so etwas zu? Hilf mir, Hans. Sie werden mich verbrennen. Hilf mir doch. Ich bin keine Hexe.«
Er konnte immer noch nichts sagen. Aber in seinem Inneren barst etwas. Und er wusste, dass sie die Wahrheit sprach.
Der Wächter musste ihn mit Gewalt von Maria lösen, bevor die Malefizkommissare kamen. Er wankte die Treppe hinunter, und statt ins Folterhäuschen zu gehen, verließ er das Malefizhaus und lief durch die Lange Gasse heim. Unterwegs begegnete er einem der Hexendoktoren, der ihn verwundert
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