Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
drohenden Absturz. Jetzt, so spürte der Mohr, war sein Herr am Ende. Was konnte er tun? Wie konnte er helfen. Und – was würde aus ihm selber werden ohne den Fürstbischof?
Caspar wälzte sich von einer Seite auf die andere, voll tiefster Sorge, den Kopf voller schwarzer Gedanken. Draußen schlug die Uhr Mitternacht. War da wohl ein Geräusch? Geflüster? Schritte?
Mit einem Mal wurde die Tür aufgerissen. Drei, vier Söldner der bischöflichen Leibwache barsten in den Raum, zerrten ihn grob aus dem Bett. Jemand schlitzte die Matratze auf, ein anderer sammelte die geschnitzten Tierfiguren vom Wandsims. Das Schloss der Truhe unter dem Fenster wurde mit einem Axthieb zertrümmert, seine persönlichen Habseligkeiten durchwühlt. Er wusste überhaupt nicht, was geschah.
Dann trieben sie ihn mit Spießen und Hellebarden die Treppen des Geyerswörth hinunter, durch die langen Gänge, über den dunklen Hof, zum Tor hinaus.
Brennerpass, einen Tag später
Der er Kaufmannszug, bestehend aus zwanzig schwerbeladenen Ochsenwagen, quälte sich den Anstieg hoch; langsam, aber stetig rollte er hinauf in Richtung Joch. Es war ein italienischer Zug; er gehörte dem livornesischen Kaufmann Enrico Olmorisi, der mit Wein, Baumöl, Südfrüchten und Muranoglas handelte. Wohl an die zwanzig Mal hatte der kleine grauhaarige Kaufmann schon den Weg über die Strada d’Alemagna bewältigt, jedes Jahr im Frühsommer, und immer hatte sich der Aufwand gelohnt. Heuer war er mit seiner Fuhre spät dran, weil ihn ein Beinbruch um fast zwei Monate zurückgeworfen hatte und er unbedingt selber mit über die Alpen wollte – nicht zuletzt deshalb, weil es ihm seit Jahren eine liebenswerte blonde Frau angetan hatte, die in der Nähe von Nürnberg einen kleinen Laden führte. Vielleicht würde sie sich diesmal dazu überreden lassen, ihn zu heiraten und mit in seine Heimat zu kommen. Voller Vorfreude ritt Olmorisi an der Spitze des Zuges; er kannte den Weg gut und brauchte schon lange keine einheimischen Rodleute mehr, die ihn führten. Das Wetter und die Wegverhältnisse verhießen ein gutes, störungsfreies Vorankommen, und so hing der Kaufmann zufrieden seinen Gedanken nach.
Ungefähr anderthalb Stunden vor dem Erreichen des höchsten Punktes, als es um eine felsige Kehre ging, scheute Olmorisis Pferd. Beinahe wäre er gestürzt; er hatte alle Hände voll zu tun, das Tier wieder zu beruhigen. Und dann sah er den Grund für die Aufregung seiner Schimmelstute: Da lagen zwei Leichen, mitten auf dem Weg.
Laut rufend gab er das Zeichen zum Anhalten. Ein paar Wagenknechte liefen herbei und untersuchten die Toten. Es waren Mönche, ganz junge Kerle, Jesuiten, wie es schien. Der Wind blähte ihre weiten schwarzen Kutten, und so lagen sie da wie zwei riesige tote Bergdohlen, grotesk verkrümmt und blutig, offensichtlich Opfer eines Überfalls.
»Mannaggia!«, entfuhr es Olmorisi. Welches Ungeheuer brachte so etwas fertig! Einen Ordensmann umzubringen! Dafür würde der Mörder bis ans Ende seiner Tage im Fegefeuer büßen müssen! Der Kaufmann war ein tiefgläubiger Mensch, und er überlegte, was nun zu tun wäre. Die Leichen hier zu begraben war ein Ding der Unmöglichkeit; die Erde war viel zu felsig, und außerdem würden sie es dann nicht mehr bis zum Einbruch der Dunkelheit nach Matrei schaffen. Aber unbestattet liegen lassen konnte man die armen Teufel schließlich auch nicht. Olmorisi beschloss, die Leichen aufladen zu lassen und bis nach Matrei mitzunehmen.
Während seine Leute sich an den sterblichen Überresten der Jesuiten zu schaffen machten, hörte er hinter sich einen überraschten Aufschrei. Einer der Fuhrknechte hatte in der kleinen Schlucht etwas erspäht. Der Kaufmann trat hinzu und sah hinunter. Zwei tote Körper lagen halb übereinander im gischtschäumenden Wasser, einer davon ebenfalls ein Ordensmann, der unten liegende wohl einer der Wegelagerer, der hier sein sündiges Leben beendet hatte. Und der Fuhrmann schwor Stein und Bein, dass sich einer davon bewegt habe: der Mönch.
Eine Stunde später lag Petrus Kircher in Decken eingepackt auf einer Ladung Olivenöl. Einer der Pferdejungen hatte sich nach unten abgeseilt und zusammen mit dem Mönch wieder hochziehen lassen, was wegen Kirchers Leibesfülle ein hartes Stück Arbeit gewesen war. Olmorisi hatte seinen Puls gefühlt, ein ganz schwaches Flattern. Der Mann war mehr tot als lebendig, aber er hatte immerhin Glück gehabt. Wohl war er beim Sturz auf seinem Gegner
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