Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
Vom Netzwerk:
Markt. Als er am Haus zur Lilie vorbeikam, stank es wie immer nach Jauche. Es war ein Kreuz, dass der Oschütz nie rechtzeitig seine Heimlichkeit leeren ließ. Die Sickergruben verpesteten einfach bestialisch die Luft, wenn nicht regelmäßig alle paar Jahre die Kehrichtbauern kamen. Der Apotheker rümpfte die Nase und stapfte weiter durch die Dunkelheit. Dieser üble Geruch – war da nicht doch ein Hauch Schwefel? Ganz leicht, kaum merklich? Wolff fluchte leise. Er war kein abergläubischer Mensch, im Gegenteil, er hielt sich für einen nüchternen Mann der Wissenschaften, und doch war ihm unheimlich zumute. Jetzt wäre er froh um den Nachtwächter gewesen, der ihm sonst mit seinen Stundengesängen eher auf die Nerven ging. Oder wenigstens ein Hund. Wo waren bloß heute die unzähligen verlausten Streuner, die sich sonst immer in den Gassen balgten? Ein Windstoß bauschte seinen Umhang, kalt und unangenehm, und gleichzeitig hörte er ein Geräusch, ein Jammern und Klagen, und dann – war das nicht Pferdegetrappel?
    Wolff stolperte. Es war so stockfinster, dass man nicht die Hand vor Augen sah, und trotzdem begann er zu laufen. Noch nie war ihm der Weg vom Schwarzmann bis nach Hause so unglaublich weit vorgekommen. Endlich sah er die Feuerpfanne vor der Apotheke aufleuchten. Hastig, mit zitternden Fingern, sperrte er auf und trat in den Gang. Er schlug die Tür fest hinter sich zu und legte den Riegel vor. Dann schnaufte er erst einmal tief durch.
    Du wirst alt, Abdias, dachte er, während er langsam die Treppe in den ersten Stock hochging und dabei seinen Mantel aufknöpfte. Früher hättest du dich nicht so ins Bockshorn jagen lassen …

Im Gefängnisturm, April 1627
    Cornelius las sich das kurze Schreiben noch einmal durch, das ihm am gestrigen Abend ein Amtsbote gebracht hatte. Es trug das offizielle Siegel der Stadt und das des Fürstbischofs und war auf feinem weißen Bütten geschrieben. Für die leibliche Untersuchung der Delinquenten, so hieß es darin, sei die Anwesenheit eines Arztes von Wichtigkeit, da sich ein solcher mit dem menschlichen Körper besser auskenne als die Herren der Jurisprudenz. Und nachdem seine, Cornelius’, Qualifikationen dem Fürstbischof bestens bekannt seien, habe man ihn für diese bedeutsame Aufgabe ausgewählt.
    Der junge Arzt war nicht besonders glücklich über die Einladung, aber natürlich konnte er sie auch nicht ablehnen. Also griff er nach seiner Ledertasche und machte sich auf den Weg zum Turm. Just als er das Haus verlassen wollte, hielt ihn die alte Lisbeth auf.
    »Wart, Corneli, steck das ein«, sagte sie und drückte ihm mit zittrigen Fingern etwas in die Hand. »Damit dir nichts geschieht … « Dann schlug sie hastig das Kreuzzeichen über ihm und schlurfte in die Küche zurück.
    Er sah sich an, was ihm die Magd gegeben hatte: einen gelblichen Klumpen geweihtes Bienenwachs von einer Altarkerze, wie es alle frommen Leute zu Hause hatten, eingewickelt in ein Stück Papier, auf das ein Segensspruch gekritzelt war. Cornelius wusste nicht recht, ob er darüber lachen oder sich ärgern sollte. Unterwegs spielte er mit dem Gedanken, das Zeug in die Gosse zu werfen, aber am Ende steckte er Wachsklumpen und Zettel doch ein. Wenn’s hilft, dachte er.
    Ein bisschen mulmig war ihm dann doch zumute, als er schließlich an die eisenbeschlagene Tür des Gefängnisturms klopfte. Einer der Stadtknechte öffnete ihm, ein Mann namens Stöcklein, dessen zu klein geratener Kopf auf einem viel zu langen, nach vorne gestreckten Hals saß. Er erinnerte Cornelius an eine neugierige Schildkröte.
    »Kommt herein, Doctor Weinmann, die anderen Herren warten schon.«
    Cornelius folgte dem Stöcklein durch das Wächterstübchen und über eine schmale Holztreppe hinauf in das Verhörzimmer. Drinnen hielten sich bereits der Hexenkommissar Schwarzcontz, Pater Kircher, Hans Schramm und ein weiterer Stadtknecht auf, den Cornelius nicht kannte. Der Raum war mit einem groben Tisch, einer Sitzbank und ein paar wackligen Stühlen möbliert; in der Mitte stand ein runder Hocker. Die hellen Strahlen der Aprilsonne, die durch die drei kleinen Fenster hereindrangen, konnten wenig gegen die feuchte Winterkälte ausrichten, die noch in den dicken Turmwänden saß.
    »Grüß Gott, meine Herren.« Cornelius stellte die Arzttasche ab und warf seinen Umhang über einen Stuhl. »Hier bin ich also, auf Geheiß der Stadt und des Fürstbischofs. Wenn nun jemand von Euch so freundlich wäre, mich aufzuklären,

Weitere Kostenlose Bücher