Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
wozu mein medizinischer Beistand nötig ist?«
»Oh, Ihr werdet gleich sehen«, meinte Schwarzcontz leutselig und gab dem Stadtknecht ein Zeichen. Der verschwand, und als er nach kurzer Zeit wiederkehrte, führte er eine mit Ketten an den Händen gefesselte alte Frau mit sich. Ihr graues Haar hing wirr und strähnig herab, sie war schmutzig und roch nach fauligem Heu, Kot und Urin. Hilflos stand die Alte vor den Männern, ihre weitaufgerissenen Augen blickten ängstlich von einem zum anderen. So sollte eine gefährliche Hexe aussehen? Cornelius mochte es schier nicht glauben.
»So, Kreuselmännin, jetzt geht’s ans dritte Verhör«, begann Schwarzcontz, und Cornelius erschrak. Mein Gott, die Kreuselmännin war das, die Eierfrau! Er hatte sie überhaupt nicht erkannt, so anders sah sie aus. Was hatten die Wochen im Gefängnis aus ihr gemacht? Er dachte daran, wie die Hallstädter Bäuerin schon seit wer weiß wie vielen Jahren alle Wochen einmal mit ihrem Korb im Doktorhaus vorbeikam. Immer trug sie ein hellbraunes Kopftuch mit blauen Streifen, passend zur Schürze, und hatte dunkle Wollhandschuhe an, mit denen sie die Eier so vorsichtig anfasste, als seien sie aus dünnstem Glas. Meistens hielt sie dann noch einen kleinen Schwatz mit der Lisbeth, bevor sie den Korb wieder aufhuckelte und zur nächsten Tür weiterzog. Cornelius kannte die Alte schon, seit er ein kleiner Bub war.
»Habt doch ein Einsehen, Ihr guten Leute«, greinte die Kreuselmännin jetzt. »Ich weiß nichts vom Teufel. Ach Gott, ich geh doch immer fleißig zur Messe, hab niemandem ein Leids getan … «
»Hört, Weib, dies ist das letzte Mal, dass wir uns gütlich mit Euch befassen.« Schwarzcontz baute sich vor der Bäuerin auf, die vor lauter Angst noch kleiner wurde. Mit einer herrischen Geste streckte er ihr einen Zinnbecher hin. »Trinkt das aus.«
Sie nahm und schluckte gehorsam. Der Malefizkommissar umrundete die alte Frau dabei mehrere Male wie ein lauernder Wolf und ließ kein Auge von ihr. »Notiert, Schreiber: Der Kreuselmännin Weihwasser gegeben, hat’s getrunken, dabei kein Anzeichen von Unbehagen, hat sich nicht verschluckt noch ausgespuckt.«
Die Gefangene wischte sich mit dem Ärmel ihres Kittels über die schrundigen Lippen. Ihr behaartes Kinn bebte vor Aufregung, als sich Schwarzcontz erneut an sie wandte.
»Könnt Ihr das Vaterunser, na?«
»Herr, wie sollte ich nicht? Bin doch ein gut christliches Weib, wohl getauft und in allem unterwiesen, wie sich’s gehört.«
»Dann lasst hören.«
Die Alte fing stockend und mit leiser Stimme an. »Vater unser, der du bist im Himmel … «
»Ich kann nichts verstehen!«
»Vater unser, der du bist im Himmel … «
»Lauter, Weib!«
Und die Kreuselmännin, die ihr Leben lang das Vaterunser fehlerfrei aufgesagt hatte, die es erst ihren Kindern, dann ihren zwölf Enkeln beigebracht hatte, die dabei nie auch nur ins Stocken gekommen war – dieses Mal verhaspelte sie sich.
Schwarzcontz bleckte die Zähne. »Ei, Pater Kircher, Ihr könnt bezeugen, dass der Text nicht korrekt war!«
Kircher versuchte abzuwiegeln. »Verehrter Doktor, die Frau ist verängstigt und aufgeregt. Lasst es sie noch einmal versuchen.«
Der Jurist schüttelte den Kopf. »Ihr seid zu gutmütig, mein Lieber. Das hat mit Aufregung gar nichts zu tun, sondern damit, dass sich der Teufel bei seinen Zeremonien stets über das heiligste Gebet lustig macht. Beim Hexensabbath müssen es alle Unholden rückwärts aufsagen. Das geht ihnen so in Fleisch und Blut über, dass sie es nicht mehr richtigherum beherrschen. Schreiber, notiert also: Die Kreuselmännin erwies sich als unfähig, das Gebet des Herrn fehlerfrei aufzusagen. Kreuselmännin dürft Ihr im Folgenden mit einem großen K abkürzen.«
Cornelius verlor die Geduld. »Ihr Herren, ich frage mich wirklich, wozu meine Anwesenheit hier nützlich sein soll. Ich bin weder Theologe noch Jurist, und meine Patienten warten auf mich … «
Schwarzcontz lächelte. »Ich bitte um Entschuldigung, Doktor, aber Ihr werdet gleich gebraucht.« Er trat mit einem schnellen Schritt an die Alte heran, packte deren schmutzigen Lumpenkittel und zog so heftig daran, dass er zerriss. Die Kreuselmännin schrie erschrocken auf und versuchte verzweifelt, ihre Blöße mit den gefesselten Händen zu überdecken. Sie war am ganzen Körper dürr und faltig, mit schlaffen, hängenden Brüsten und Hinterbacken. Die blassen Sonnenstrahlen ließen ihre Haut schneeweiß in dem düsteren Raum
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