Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
seinem Arm. Die
Begleitperson vom anderen Ende der Kinderschlange eilte nun heran, während
erstere versuchte, die Kinderschar zu bändigen. Die Frau erfasste mit einem
Blick die Situation, packte den Rüden mit einer energischen Geste am Nacken und
schüttelte ihn, nicht fest, aber bestimmt: „Aus, Caruso, böser Hund. Platz.“
Der Hund duckte sich, setzte sich aber brav hin, nicht ohne Stellina weiter mit
heraushängender Zunge begehrlich zu betrachten. Seine Rute wedelte Sturm.
„Siehscht,
so macht man des. Desch is meine Mama“, teilte ihm der blonde Junge
triumphierend und zeigte auf die hübsche blonde Frau neben ihm. Sie kauerte
noch am Boden, um Stellinas männliches Gegenstück anzuleinen. Nun richtete sie
sich auf, sah dem jungen Mann zum ersten Mal ins Gesicht und erstarrte mitten
in der Bewegung. Lukas erging es ebenso und alles Blut strömte aus seinem
Gesicht. Jäh setzte seine lang verdrängte Erinnerung an Mallorca wieder ein. Nachdem
er damals rasend vor Eifersucht Jules den Unterkiefer gebrochen hatte, hatte er
seinen Onkel Franz aufgesucht und ihn verzweifelt um Rat gebeten. Gerade noch
war er entschlossen gewesen, Rabea zu heiraten und mit ihr eine Familie zu
gründen und dann war sein Traum jäh geplatzt. War der Vorfall in München womöglich
Schicksal und Gott wollte, dass er ihm sein Leben weihte? hatte er sich
gefragt. Sein Onkel, der Bischof, der sein seelisches Dilemma erkannte, hatte
ihm die Wahl zwischen zwei Dingen gelassen: Entweder er ginge für ein paar
Wochen in Klausur in einen Konvent oder er solle sich einmal im Leben so richtig
austoben: „Fahr irgendwohin, Lukas. Lass mal ein paar Tage oder mehr die Sau
raus, sei einfach nur ein junger Mann und lebe. Du bist jetzt viel zu
durcheinander, um eine Entscheidung für dein weiteres Leben treffen zu können.
Danach sehen wir weiter.“
Lukas
hatte für sich den Konvent gewählt, aber die Stille und Einkehr dort hatten ihm
keinen Frieden gebracht, im Gegenteil. Nach wenigen Tagen war er daher geflüchtet
und hatte sich kurz entschlossen ein Flugticket nach Mallorca gekauft. Mehrere
Tage war er ziellos auf der Insel umhergewandert, hatte nachts am Strand
gesessen und die Sterne beobachtet. Eines Abends dann hatte er in seiner Nähe
ein leises Schluchzen gehört. Ein junges, blondes Mädchen saß, ebenso verloren
wie er am Strand, die Hände um die Knie geschlungen und weinte herzzerreißend.
Natürlich konnte er nicht anders, als zu versuchen, sie in ihrem Kummer zu
trösten. Das Mädchen hatte gerade eine herbe Enttäuschung erlebt. Mit ihrem
Freund war sie auf die Insel gekommen, um den ersten gemeinsamen Urlaub zu
verbringen. Leider hatte der Schuft sie gleich am zweiten Tag sitzen lassen und
war mit einer anderen losgezogen, die er gerade erst kennengelernt hatte. Lukas
lud sie in eine nahe gelegene Strandbar ein. Sie tranken einige Sangrias, die
die beiden ungeübten Trinker rasch in eine beschwipste Stimmung brachten. Nichts
verband so sehr als geteilter Kummer. Die laue Sommernacht mit ihren funkelnden
Sternen unter dem samtenen Himmel, dazu der Strand, an dem sich leise
plätschernd die Wellen brachen, taten ihr Übriges. Irgendwann waren sie auf
Lukas’ Zimmer gelandet und verbrachten eine rauschhafte Nacht, an die er kaum
mehr Erinnerung bewahrte, als an zarte Haut und an seidige blonde Haare, die
ihm sanft über das Gesicht strichen. Doch er wusste noch, dass sie nach
frischen Feldblumen geduftet hatten. Erst spät in der Nacht war er trunken von
Sangria und ihrem Liebesspiel eingeschlafen und am Morgen war sie fort gewesen.
Er hatte sie überall gesucht, sogar seine Abreise um einen Tag verschoben, aber
alles, was er über sie wusste, war ihr Name, Magali, und dass sie Schweizerin
war. Da er sie nie bei Tageslicht gesehen hatte, hatte er nicht einmal ihre
Augenfarbe bestimmen können. Nun wusste er es: Sie waren blau, blau wie ein
Kornblumenfeld im Sommer. Er starrte sie an. Sie starrte zurück und das
Schweigen dehnte sich aus, bis der kleine Junge die Aufmerksamkeit mit einem
Paukenschlag auf sich zurücklenkte: „Mama, was häscht du denn? Kennscht du diesen
Mann? Isch das ebbe mi Vadder?“
Lukas
glaubte, sich verhört zu haben. Woher sollte er auch wissen, dass der Junge
seit einiger Zeit wie besessen davon war, seinen Vater zu finden. Bei jedem
Mann, dem seine Mutter zufällig begegnete, stellte Matti hartnäckig die immer
gleiche Frage. Zweimal innerhalb der letzten Monate war der tatendurstige Junge
schon
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