Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
von zu Hause ausgebüchst, um seinen Vater in der weiten Welt zu suchen.
Gott sei Dank endete diese für ihn jedes Mal am Ortsrand von Urnäsch.
Bisher
hatte seine Mutter die Frage ihres Sohnes stets lachend abgewehrt und, während
sie ihm mit einer mütterlichen Geste den widerspenstigen blonden Haarschopf
glatt strich, geantwortet: „Nein, Matti, das ist nicht dein Vater.“
Aber
diesmal war es anders. Sie sagte: „Ja, Matti, das ist dein Vater.“
Lukas
fiel beinahe in Ohnmacht.
Matti
kauerte auf dem Treppenabsatz in dem kleinen Häuschen, in dem er und seine
Mutter lebten. Die beiden Hunde, Stellina und Caruso, saßen einträchtig neben
ihm. Ängstlich lauschte der kleine Junge den Worten der Erwachsenen im
Wohnzimmer. Das hatte er sich aber ganz anders vorgestellt. Er hatte gedacht,
wenn er seinen Vater finden würde, dann würden sich er und seine Mutter in die
Arme fallen und glücklich sein bis ans Lebensende, so wie es am Schluss immer
in den Märchen stand, die ihm seine Mutter vorlas. Stattdessen schrien sich
seine Eltern im Wohnzimmer an. Der kleine Matti verstand die Welt nicht mehr.
„Was
fällt dir ein, nach sechs Jahren hier einfach so mir nichts, dir nichts aufzutauchen
und meinen Sohn zu erschrecken“, fauchte seine Mutter seinen Vater an.
„Ich?
Aber ich habe doch gar nichts gesagt. Du musstest es ihm doch unbedingt gleich
auf die Nase binden. Ich weiß nicht, ob das klug war. Das Kind ist noch viel zu
jung, um solch eine Überraschung einfach so zu verdauen. Du hättest es unserem
Sohn schonend beibringen müssen“, verteidigte sich Lukas schwach.
„Wie
bitte?“, keifte Magali. „ Unser Sohn? Ich höre wohl nicht recht. Erzähl
mir bitte nicht, was mein Sohn verkraften kann und was nicht. Du kennst
ihn ja überhaupt nicht, hast dich nie um ihn gekümmert. Glaub bloß nicht, nur
weil du bisher für seinen monatlichen Unterhalt aufgekommen bist, dass du jetzt
irgendein Mitspracherecht bei ihm hättest. Wir beide, Matti und ich, sind
bisher sehr gut ohne dich zurechtgekommen und das werden wir auch weiterhin tun.
Am besten, du verschwindest gleich wieder.“ Wütend funkelte Magali ihn an. Sie
war etwas größer als Rabea, nicht so zierlich, jedoch in puncto Temperament
schien sie ihr nicht im Geringsten nachzustehen.
Lukas
fragte sich soeben, ob er in seinen Erinnerungen ihre Sanftheit vielleicht
etwas verklärt hatte, als ihm ihre letzten, ihm entgegen geschleuderten Worte
erst richtig ins Bewusstsein drangen. „Unterhalt?“, wiederholte er verblüfft.
„Aber ich habe nie Unterhalt bezahlt, Magali. Ich wusste nicht einmal, dass du,
ich meine, dass wir ein Kind haben. Ich bin nur rein zufällig hier und ...“
Plötzlich
setzte sein Herz einen Schlag lang aus und der Boden unter ihm schien zu schwanken.
Die Erkenntnis traf Lukas mit der Wucht einer Kanonenkugel. Rabea! Sie hatte
ihm gesagt, er solle nach Urnäsch gehen. Sie hatte es gewusst und nun
endlich begriff er auch ihre rätselhaften Worte, als sie davon sprach, Schuld
auf sich geladen und einem Kind den Vater gestohlen zu haben. Rabea hatte die
ganzen Jahre über von dem Kind gewusst und ihm nichts davon erzählt. Sie war es gewesen, die heimlich den Unterhalt bezahlt hatte, um damit wenigstens
einen Teil ihrer Schuld zu begleichen. Aber wie hatte sie überhaupt davon
erfahren?
„Magali,
setz dich. Ich glaube, wir haben eine Menge zu bereden.“
Es
stellte sich heraus, dass Magali Lukas vor knapp sechs Jahren einen Brief nach
Nürnberg in die elterliche Villa gesandt hatte, als sie von ihrer Schwangerschaft
erfuhr. Sie war der Meinung, dass der werdende Vater das Recht hatte, es zu
wissen, zumal sie es gewesen war, die, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, aus
dem Hotelzimmer verschwunden war. Sie betonte ausdrücklich, dass sie nichts für
sich selbst verlangte, ausschließlich den gesetzlich festgelegten Unterhalt für
das gemeinsame Kind. Rabea, die seit der Kindheit in der Villa ein- und ausging
und auch des Öfteren die Post hereingeholt hatte, musste damals den Brief aus
der Schweiz abgefangen haben.
Zwei
Stunden später, als Magali den Abendbrottisch abräumte, und Lukas erstmalig den
Darbietungen Carusos lauschen durfte, der sich sein Abendessen im wahrsten
Sinne des Wortes ersungen hatte (Lukas hatte zunächst angenommen, der Hund
hieße deshalb Caruso, weil er etwas moppelig war), brachte er zum ersten Mal in
seinem Leben seinen glückseligen Sohn mit einer Gute-Nacht-Geschichte zu Bett.
Als
der Kleine
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