Die Seelenjägerin - 1
das … von anderswo kam. In all den Jahren ihres Hexenlebens hatte sie so etwas noch nie gespürt, es war eine Erscheinung, die sie nicht einmal vom Hörensagen kannte. Das Seelenfeuer war naturgemäß in sich abgeschlossen und zumindest bei den Morati fest an den Körper gebunden; doch hier führte irgendetwas ganz unverkennbar nach außen , weg von diesem Körper, aber … wohin? Wo endete dieser dünne Faden, der keine feste Hülle hatte? Fasziniert setzte sie ihre volle Kraft ein, um herauszufinden, woraus er bestand, ob er einen Namen hatte …
Plötzlich traf sie ein mächtiger Schlag von allen Seiten zugleich und presste ihr die Luft aus den Lungen. Sie wollte sich sofort aus der Seele des Prinzen zurückziehen, konnte es aber nicht; es war, als hätte eine unsichtbare Macht von ihr Besitz ergriffen und ließe sie nicht mehr los. Der Prinz konnte es nicht sein, selbst wenn er Herr über sein Athra gewesen wäre; nein, er war mit etwas, mit jemand anderem verbunden, und die Hexe spürte, wie sich ein fremder Wille um ihr eigenes Bewusstsein legte, wie Fühler der Macht sich hungrigen Schlangen gleich in ihr Fleisch bohrten und zu der zarten Seele vorzudringen suchten.
Sie stieß einen Schrei aus. Er klang grauenvoll hohl, sie hörte es selbst. Vielleicht zuckte Andovan zusammen, vielleicht sah er sie auch nur verwundert an. Sie war ihrer Sinne nicht mehr so weit mächtig, dass sie ihn hätte beobachten können. Etwas hatte ihre Seele gepackt, wollte sie ihr aus dem Körper ziehen und nur einen toten Kadaver zurücklassen. Sie wehrte sich verzweifelt, aber es war vergebens; ihre Seele zappelte hilflos im Netz wie ein Fisch, der aus dem Wasser geholt wird, um an der Luft zu ersticken. Vor ihrem inneren Auge tanzten schwarze Sterne; sie wollte noch einmal schreien, bekam aber keine Luft mehr.
»Raquel?« Eine Stimme wie aus weiter Ferne. Sie konnte nicht antworten. War es Andovan, der zu ihr sprach, oder einer ihrer Freunde vom Markt? Ihr Aufschrei hatte sicher viele Menschen angelockt. »Raquel, was hast du?«
Ihr wurde schwarz vor den Augen, ihr Widerstand ließ nach. Das Feuer in ihrem Inneren, das größere Anstrengungen hätte nähren können, verlor zusehends an Kraft. Die fremde Macht entzog es ihr gnadenlos. Die Macht war gierig, entsetzlich gierig, und sie zerrte an ihrer Seele wie ein verhungerndes Tier an einem Stück rohen Fleisches. Der Tod winkte, die kalte, schwarze Ewigkeit, und sie verblutete in diese Nacht hinein.
Noch immer wehrte sie sich dagegen, suchte den Angreifer zu fassen. Schritt entschlossen vorwärts, anstatt sich mit aller Kraft zurückzuziehen.
Dann sah sie die Quelle des Übels.
Und wusste Bescheid.
»Sie tötet Euch!«, stieß sie heiser hervor. Die Worte hallten wider, als kämen sie aus weiter Ferne. Hatte sie laut gesprochen? Das Bild einer schlanken jungen Frau stand ihr vor Augen, blasses Gesicht, rotes Haar, das wie eine Feuerkrone loderte. Sie wollte es an Andovan weiterleiten, aber ihre Kräfte waren fast erschöpft, und sie wusste nicht, ob es ihr gelungen war.
Als ihr dieselbe gnadenlose Gier, die auch Andovan verzehrte, die letzten Athra-Reste entriss, erfüllte ein gewaltiges Rauschen ihre Ohren. Sie konnte nicht mehr widerstehen, allein der Versuch überstieg ihre Kräfte. Ihre Lider sanken langsam herab und schlossen auch noch das letzte Licht dieser Welt aus. Ebenso langsam schwanden ihre inneren Sinne, die Flamme ihrer Seele fiel in sich zusammen, zuckte noch einmal schwach und wurde trüb.
Es tut mir leid , flüsterte sie. Lautlose Worte, die im Tod untergingen. Es tut mir leid. Als trüge sie die Schuld an diesem Akt des Sterbens. Als müsste sie dafür um Verzeihung bitten.
Dann war auch das letzte Athra entwichen, und die Dunkelheit war vollkommen.
Kapitel 8
»Sie tötet ihn «, sagte Ramirus langsam und wiederholte mit Nachdruck das erste Wort. » SIE. «
Das Wort hing schwer über dem Konferenzsaal, das Schweigen der Magister zerschnitt die Luft wie mit Messern.
Endlich ergriff Del das Wort. »Man könnte sich vorstellen, dass hinter alledem eine andere Hexe steckt. Vielleicht ist es das, was die Seherin Raquel, die ja auch eine Hexe war, meinte.«
Fadir nickte. »Nicht auszuschließen, dass eine Laune der Macht eine einfache Hexe in den Stand versetzt …«
»Was zu tun? Einem Menschen sein Seelenfeuer zu entziehen?«, fragte Lazaroth mit finsterer Miene. »Wenn sie das könnte, wäre sie nichts anderes als ein Magister. Diese Fähigkeit
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