Die Seelenjägerin
vollends aufgegangen war, dann stieg sie mit einem Seufzer wieder hinunter, um sich den Prüfungen des neuen Tages zu stellen.
Kapitel 30
In Sicherheit. Endlich ist sie in Sicherheit. Den Göttern sei Dank.
Kamala lauscht mit allen Sinnen, ob ihr Verfolger noch immer dicht hinter ihr ist, aber es scheint, als wäre sie diesmal wirklich allein. Bisher war er jedes Mal da, wenn sie sich ausruhen wollte, wenn sie auch nur langsamer wurde, um wieder zu Atem zu kommen. Und sie kann nicht zulassen, dass er sie einholt. Sie hat sein Gesicht nicht gesehen, sie weiß nicht einmal, um was für ein Wesen es sich handelt, aber irgendein Urinstinkt sagt ihr, dass sie ihn nicht an sich heranlassen darf, weil sonst etwas Schreckliches geschieht.
Jetzt – jetzt scheint sie ihn abgehängt zu haben. Zumindest vorübergehend.
Sie beugt sich vor und ringt nach Luft, die Beine zittern ihr vor Erschöpfung. Sie wagt nicht, sich neue Kräfte herbeizuzaubern. Der Verfolger kann ihre Magie riechen, sooft sie einen Zauber wirkt; ihre einzige Hoffnung, ihn hinter sich zu lassen, ist eine einfache Flucht nach Art der Morati.
Sie kann nur rennen.
Plötzlich hört sie hinter sich ein Rascheln im Wald. Etwas bricht durch das Unterholz. Da ist er wieder! Er will sie holen! Verzweifelt richtet sie sich auf, pumpt sich die Lunge ein letztes Mal mit Luft voll und setzt sich wieder in Bewegung. Es ist aussichtslos, sie stolpert nur noch dahin, hat keine Kraft mehr in den Beinen. Schon als sie anfängt zu laufen, weiß sie, dass es zu spät ist. Sie hat den Verfolger zu nahe herankommen lassen. Jetzt greift er nach ihr …
Sie fährt herum, rechnet mit einer riesigen Bestie, einem blutgierigen Dämon oder noch Schlimmerem. Doch nichts will sich auf sie stürzen. Vielleicht hat sie sich geirrt, denkt sie, vielleicht ist sie immer noch allein. Ihr Herz schlägt ein wenig ruhiger. Doch dann verwandelt sich die Finsternis um sie herum, und sie begreift, dass sie nicht nur die Schatten der Nacht vor sich sieht, sondern ein schwarzes, furchterregendes und durch und durch böses Etwas, das sie verschlingen will. Sie macht kehrt und will weiterlaufen, doch der Boden unter ihren Füßen löst sich auf, er weicht einfach zurück, bietet keinen Halt mehr. Treibsand. Die Erde schmilzt, dann beginnt sie sich zu drehen – zuerst langsam, dann schneller und schneller; sie findet sich im Zentrum eines Strudels wieder, der sie in die Tiefe zieht. Ein gewaltiger Sog reißt die ganze Landschaft mit sich, verschlingt Bäume und Vögel und schließlich sogar die Sterne. Immer weiter geht es hinab in eine namenlose, schreckliche Dunkelheit. In ihrer Verzweiflung beschwört sie endlich ihre Macht, doch sie gehorcht ihr nicht mehr. Der Strudel schließt sich über ihr. Jenseits davon, unterhalb davon ist nichts. Nur Leere. Sie schreit …
Sie erwachte.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Ihr Körper war von einem dünnen Schweißfilm überzogen. Aber sie war wach. Der Albtraum war überwunden.
Lange lag sie im Dunkeln und regte sich nicht. Es war eine warme, schwüle Sommernacht, wie sie unangenehmer nicht sein konnte. Endlich hob sie eine Hand, beschwor ein wenig Macht und verwob sie mit den Fingern wie bei einem Fadenspiel. Die Luft wurde kühler, ein frischer Wind strich über sie hin und trocknete den Schweiß.
Die Albträume hatten begonnen, nachdem sie Gansang verlassen hatte, aber so heftig zehrten sie erst in jüngster Zeit an ihren Nerven. Anfangs hatten sie nur die Ängste widergespiegelt, die sie in der Stadt gequält hatten, und sie hatte geglaubt, damit den Preis für ihre Taten entrichten zu müssen. Aber jetzt … jetzt wurde mehr daraus. Jetzt spürte sie ganz deutlich noch jemanden in ihren Träumen, so als versuchte ein Magister immer wieder vergeblich, sich Zutritt zu verschaffen.
Wenn sie nur mehr von Traumbildnerei verstünde. Wenn sie nur noch ein Jahr – noch zehn Jahre – länger bei Aethanus geblieben wäre, um alles über sämtliche Bereiche der Magie zu lernen, bevor sie allein in die Welt hinauszog.
Nun kam ihre Ungeduld sie möglicherweise teuer zu stehen.
Seufzend stieg sie aus dem Bett und streckte sich. Ihre Beine fühlten sich an, als wäre sie wirklich gelaufen, und ihre Rückenmuskeln waren hart und verspannt und schmerzten bei jeder Bewegung. Sie linderte die Qualen mit einem kleinen Quäntchen Macht, dann rief sie sich das in Erinnerung, was Aethanus ihr über das Wesen von Träumen erzählt hatte.
Traue weder den
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