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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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immer wieder ihre Stelldicheins abhielten.
    Der Blick des Hauptmanns ruhte auf den Schatten am Fuß der Mauer, während die Gestalt geschmeidig wie ein Gespenst auf die Krone des höchsten Walles stieg. Hätte der Hauptmann den Kopf gehoben, dann hätte er sehen können, wie der Schein der beiden Monde auf blondes Haar fiel, und vielleicht wäre ihm das Herz stehen geblieben bei der Erkenntnis, wer die Gestalt sein musste. Diese Haarfarbe hatte nur ein einziger Angehöriger des Königlichen Hauses.
    Aber er schaute nicht nach oben, und die Gestalt bewegte sich auf geradezu unheimliche Weise lautlos, dass sie unbemerkt blieb.
    Sie war dunkel gekleidet, als hätte sie es darauf angelegt, nicht gesehen und in ihrem Tun nicht gestört zu werden. Sie erschien wie aus dem Nichts, ein Schattengebilde, doch ihre Umrisse verfestigten sich, je näher sie dem höchsten Punkt des Schlosses kam. Ihr Ziel war ein Nest für Bogenschützen auf dem Nordturm, einem von vier schmalen Aufbauten an den Ecken des Palastgebäudes.
    Oben angelangt, blieb sie einen Augenblick lang reglos stehen, wie um den nächsten Schritt zu überlegen. Vielleicht beobachtete sie die Gardisten, um den Zeitpunkt abzupassen, wenn sich keiner der Männer am Fuß des Turmes befand.
    Als es so weit war, breitete sie die Arme aus, als wollte sie die Nacht an sich drücken, und wäre jemand nahe genug gewesen, er hätte vielleicht sehen können, wie die Angst einem flüchtigen Schatten gleich über ihre Züge huschte.
    Dann sprang sie.
    Der Sturz hinab auf den steinernen Wehrgang war lang. Der harte Aufprall, kurz und blutig, rief die Gardisten herbei. Sie kamen mit gezückten Waffen angelaufen. Der Hauptmann war unter den Ersten und rief eine Warnung, als er den Leichnam sah. Bei dem Gedanken, wie Danton sich verhalten würde, wenn er den Eindruck bekäme, er, der Hauptmann, hätte seine Pflichten vernachlässigt, gefror ihm das Herz in der Brust – er fürchtete den Großkönig mehr als jeden Feind –, aber dank seiner jahrelangen Erfahrung war er dennoch fähig, das Nötige zu veranlassen. Alarm schlagen. Das Gelände absuchen. Der Körper war eindeutig von oben herabgefallen, das bedeutete, er war aus dem Schloss gekommen. Nachsehen, ob sich kein Feind auf der Jagd nach weiteren Opfern im Inneren des Gebäudes versteckt.
    Dann drehte einer seiner Männer den Körper auf den Rücken, sodass man sehen konnte, was vom Gesicht noch übrig war, und der Hauptmann erstarrte. Eine Seite war durch den Aufprall zermalmt, aber das Antlitz war nicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
    Andovan!
    Der Alarm zeigte Wirkung, im Inneren des Schlosses wurde es lebendig. Hinter den schmalen Schießscharten flackerten Laternen auf, Befehle wurden gerufen. Wenig später begann die große Glocke im Südturm zu läuten, eine Warnung an alle innerhalb der Mauern, dass ein Feind sein Unwesen trieb. Alle waffenfähigen Männer hatten nach ihren Schwertern zu greifen, die anderen sollten bis auf Weiteres ihre Türen verschließen.
    Der Hauptmann stand zitternd neben dem Leichnam des Prinzen, wartete darauf, dass Dantons Zorn über ihn hereinbräche, und fragte sich, ob seine Laufbahn als Königlicher Gardist wohl schon bald ein blutiges Ende fände.
    »Verzeiht?«
    Der Hauptmann blinzelte zweimal, dann wandte er sich dem Gardisten zu, der ihn angesprochen hatte, und nickte.
    »Er hat etwas in der Hand.«
    Wieder beugte sich der Hauptmann über die Leiche. Tatsächlich, Andovan hielt etwas in den Fingern, ein zerknittertes, beschriebenes Stück Papier. Eine Nachricht vielleicht?
    »Soll ich es herausziehen?«
    »Nein.« Der Hauptmann sprach ruhig und gefasst, ein Mann, der wusste, dass ihm eine schwere Stunde bevorstand, die ein paar Zeilen auf einem Stück Papier nicht leichter machen könnten. »Überlass das Seiner Majestät.« Ohne Zweifel suchte Ramirus das Schloss bereits nach Eindringlingen ab; auf solche Dinge verstanden sich die Magister am besten. Wenn sich irgendwo ein Fremder aufhielt, würde Ramirus ihn aufstöbern und ihn sich vornehmen.
    Falls es sich um einen der fremden Magister handeln sollte – was durchaus möglich war – könnte das eine Weile dauern. Der Hauptmann war über die vielen Besucher im Schloss nie glücklich gewesen, schon gar nicht über Besucher, die durch Mauern gehen oder mit Gedankenkraft einen Menschen erdrosseln konnten. Wenn nun einer von ihnen für das Unglück verantwortlich wäre?
    Erst wenn das alles erledigt war, würde man die Tore

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