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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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kleine Entlein, die sich um ihre Mutter scharen, ihre Spitzen in die Höhe und flattern aufgeregt mit ihren Gardinen, als wären es Flügel. Der Wind kommt von Westen und bringt einen Pesthauch nach fauligem Fisch und Algen mit, die giftigen Ausdünstungen eines Sumpfgebiets. Der Gestank passt nicht zu diesen trockenen, unberührten Straßen.
    Zwischen den Türmen geht eine Frau, und sobald sie erscheint, weiß er, dass sie es ist, die er sucht. Er will sie ansprechen, damit sie sich nach ihm umwendet und er ihr Gesicht sehen, ihren Namen erfahren kann, aber plötzlich wird die Schwäche in ihm übermächtig, die Worte bleiben ihm in der Kehle stecken und er bricht keuchend auf dem Kopfsteinpflaster zusammen.
    Jetzt, jetzt endlich wendet sie sich ihm zu, und er schaut zu ihr auf. Warum? , fragt sein stummer Blick, denn sein Atem reicht nicht aus, um die Worte zu formen. Aber sein Augenlicht erlischt, die Schwundsucht überwältigt ihn, und bevor er ihr Gesicht erkennen kann, wird es dunkel.
    Er erwachte fröstelnd, sein Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt. Im ersten Moment fühlte er sich so schwach wie in seinem Traum, und Panik erfasste ihn. Hastig kämpfte er sich hoch, um sich zu beweisen, dass ihm der Traum nicht die letzten Kräfte geraubt hatte. Als er aufrecht stehen konnte, ohne sich mehr anstrengen zu müssen als am Abend zuvor, beruhigte sich sein wild klopfendes Herz ein wenig, und es gelang ihm, mit mehreren langen, tiefen Atemzügen seine Gelassenheit wiederzufinden.
    Es war ein Traum, Andovan. Schlimmer als so mancher andere, aber wahrscheinlich nicht dein letzter Albtraum auf dieser Reise. Bist du schon so verzagt, dass du dich von einem Traum entmutigen lässt?
    Ob sie wohl wusste, dass er nach ihr suchte? Der Traum erweckte diesen Anschein, aber er wollte auch nicht zu viel hineinlesen. Albträume waren selten prophetische Visionen, häufiger drückten sie nur die Ängste des Schläfers aus, und auf diesen Traum traf das sicherlich zu.
    Aber die Türme … so fremdartig, so dicht beieinander … das musste etwas zu bedeuten haben. Wofür stand etwa der Turm ohne Türen? Warum dieser aufdringliche Sumpfgeruch? Und wer war die Bettlerin, die so gar nicht an diesen Ort gehörte und auch sofort verschwand, als er sie ansah?
    Er zermarterte sich das Hirn, ohne zu einer Lösung zu finden; endlich brach er mit einem Seufzer ein Stück Käse aus seinen Vorräten und aß es. Der würzige Geschmack vertrieb die Erinnerung an den Verwesungsgestank.
    Und dann kam ihm die Erleuchtung.
    Gansang.
    Die Stadt mit ihren Pfahlbauten und Holzstegen lag in den Sümpfen des Westlichen Deltas in einem einstmals fruchtbaren Auenland. Zum Meer hin gab es angeblich einen bogenförmigen Streifen mit felsigem Untergrund, der sich so weit über das Wasser erhob, dass er bei Flut nicht überschwemmt wurde. Dort lebten natürlich die Patrizier. Als Kind hatte Andovan gelernt, Gansang sei wie jede Stadt ein Lebewesen, das sich, wenn das Wachstum in einer Richtung behindert würde, nach einer anderen Richtung hin ausdehnte. Gansangs Patrizier konnten nicht weiter nach außen bauen, ohne in das Sumpfland zu geraten, und so waren sie nach oben gegangen und hatten – jedenfalls nach eigener Aussage – die höchsten und schönsten Türme auf Erden errichtet. Andovan hatte die Geschichte als kleiner Junge von seinem Hauslehrer gehört und sie damals für ein Märchen gehalten. Doch jetzt … wenn er sich recht erinnerte, lag Gansang genau im Westen. Also war er schon die ganze Zeit darauf zugegangen. Konnte es sein, dass ihn Colivars Magie zu diesem Ziel getrieben hatte? Hielt sich seine Mörderin gerade dort auf, könnte er sie überraschen, wenn er schnell genug war?
    Er wusste, dass Gansang auf der anderen Seite des Blutgebirges lag. Keinen Tagesritt von den westlichen Vorbergen entfernt.
    Zuversichtlich wie seit Langem nicht mehr zog Andovan die zusammengerollten Landkarten aus seiner Satteltasche und machte sich im Schein des einen Mondes daran, die Reise nach Gansang zu planen.

Kapitel 18
    »Nur herein, meine Liebe.«
    Gwynofar trat ein. Die zerschlissenen Säume ihres Seidengewandes flatterten wie die Schwingen eines schwarzen Engels. Ihre klaren Augen erfassten alles mit einem einzigen Blick: ihr Gatte mit dem Habichtsgesicht thronte auf einem geschnitzten Holzstuhl und hatte, wohl ein Zeichen von Zärtlichkeit, die schwarzen Augen leicht zusammengekniffen; ihm gegenüber saß auf einem Polstersessel in seiner engen,

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