Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Himmel über ein paar Monate besonders bei Sonnenuntergang blutrot verfärbt, und die Männer hatten sich den Kopf darüber zerbrochen, woran das lag. Verschiedene Religionen hatten Erklärungen angeboten, in denen von Götterkämpfen und uralten Vorzeichen oder gar vom Ende der Welt die Rede war. Nun kannten sie die Wahrheit.
Damals hatte die Invasion begonnen.
Deshalb hatte sie stattgefunden.
Oben wurde mit Messern Fleisch zerhackt, gelegentlich waren auch Flüche in nordischen Dialekten zu hören. Einige Männer suchten zwischen den am Boden liegenden Kriegern nach Überlebenden. Viele würden nie wieder aufstehen, darunter auch der Büßer-Hexer, der seine letzte Lebensenergie hingegeben hatte, um das Portal offen zu halten. Ein hochherziges Opfer, für das ihn sein strenger Gott sicherlich belohnen würde.
Colivar kniete neben dem Mädchen nieder und redete mit rauer Stimme in ihrer eigenen Sprache auf sie ein. Die Kannoket-Worte fühlten sich fremd an. Zuerst schien sie ihn nicht zu hören, doch dann begann sie zu antworten. Tränen liefen ihr über das Gesicht, ein Strom von abgerissenen Lauten kam über ihre Lippen. Er verstand nicht viel, aber mit Zauberei ließe sich später, wenn er ungestört war, der Sinn herausfiltern. Er brauchte nur einen Anker, an dem er ansetzen konnte.
Sie war natürlich vollkommen verrückt. Und daran würde sich auch nie mehr etwas ändern. Das war der Preis, den ein Mensch für eine so widernatürliche Verbindung zu entrichten hatte.
Übrigens auch ein Seelenfresser.
Als er alles beisammenhatte, was er wissen musste, nahm er ihr schmutzverschmiertes Gesicht – sanft, ach so sanft! – in beide Hände und blickte ihr fest in die Augen. Sie zitterte unter seinem Griff, wich aber nicht zurück. Vielleicht spürte sie, was er eigentlich war … oder einmal gewesen war. In all den Jahrhunderten seit seiner Ersten Translatio hatte er selten so etwas wie menschliches Mitgefühl verspürt, doch jetzt keimte es auf. Welch ungewohnte, ja, fremdartige Empfindung.
Sehr behutsam durchtrennte er den Lebensfaden zwischen ihrem Herzen und ihrem Gehirn. Ließ seine Magie so unmerklich wie möglich in ihr Fleisch kriechen, damit sie nicht mitbekäme, was er tat. Schlaf ein, kleine Schwester. Suche deinen Frieden in der nächsten Welt. Hier kannst du ihn nicht finden.
Langsam entspannte sich das Mädchen. Ihre Atemzüge wurden langsamer, das Zittern legte sich. Er ließ sie los, und sie legte, benommen und erschöpft, den Kopf auf die steinige Erde. Ihre Lider schlossen sich flatternd. Das Herz, das so wild geschlagen hatte, zuckte noch ein paar Mal, dann stand es still.
Sachte strich ihr Colivar das wirre Haar aus dem Gesicht. Er tat es respektvoll, ehrfürchtig sogar, wie es sich gegenüber der Königin und Mutter einer ganzen Spezies gebührte. Erstaunt stellte er fest, wie menschlich seine Emotionen sich in diesem Moment anfühlten. Was natürlich der Gipfel der Ironie war, denn diese Empfindungen entsprangen einer alles andere als menschlichen Quelle.
Als er sich erhob, sah er Salvator zusammen mit Ramirus, Gwynofar und Favias neben sich stehen. Die anderen Heiligen Hüter waren noch oben auf dem Hügel und weideten den toten Seelenfresser aus, und Salvators Männer bemühten sich um die Gefallenen. Tod lag in der Luft.
Das Gesicht des Großkönigs war von drei parallelen Schrammen gezeichnet, die dicht an seinem Auge vorbei schräg über eine Seite liefen. Sie verliehen ihm einen seltsam raubtierhaften Ausdruck, als er Colivar nun empört ansah. Ganz kurz nur hatte der Magister die absurde Idee, Salvator könnte tatsächlich so dreist sein und ihn zur Rede stellen, weil er mit seiner Magie geholfen hatte, den Seelenfresser vom Himmel zu holen. Auch seine Augen wurden schmal, und sein Blick schickte eine deutliche Warnung: Fang bloß keinen Streit mit mir an, Salvator. Dafür bin ich jetzt nicht in der Stimmung.
Aber der Großkönig sagte nur: »Was habt Ihr erfahren?«
Colivar holte tief Luft, um seine Gedanken zu beruhigen. »Die Männer der Kolonie haben ihr die Eier weggenommen. Das war es, was mit den Nestern nicht stimmte, die wir fanden. Sie waren nicht von ihr gebaut worden. Die Männer wollten eine andere Königin aufziehen, um sie an eine Frau aus dem Süden zu binden, deshalb nahmen sie ihr die Eier weg … eine neue Königin brütet nicht, wenn eine andere zu nahe ist …« Er brach ab. Jede weitere Erklärung erübrigte sich. Die Folgen waren nicht zu übersehen.
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