Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Vorstellung, die Siderea zugleich ängstigte und erregte. An manchen Tagen hatte sie das Gefühl, sich mit der Bindung an diese Kreatur von einer hohen Klippe gestürzt zu haben und jetzt im freien Fall zu schweben, ohne zu wissen, was sie unten erwartete.
Ein schwarzhäutiger Diener trat ein und wartete schweigend, bis Siderea Notiz von ihm nahm. Sie wandte den Blick nicht von ihrem Spiegel, strich sich ein letztes Mal über die Frisur, streifte mit dem Finger innen an der Wölbung einer Brust entlang, um die Seidenschichten darüber möglichst verführerisch anzuordnen, murmelte: »Lass meinen Gast in den Garten führen« und hörte, wie er davoneilte.
Der Palast, den Dervasti hatte bauen lassen, war für die Begriffe der Wüstenvölker ein wahrer Prachtbau, auch wenn nur wenige Fürsten des Nordens das so gesehen hätten. Immerhin war der Marmor, den er aus fernen Steinbrüchen hatte kommen lassen, unglaublich teuer gewesen, und bei der Einrichtung hatte man an Goldornamenten nicht gespart. Nasaan hatte im großen Saal Götterbildnisse aufstellen lassen, kunstvoll geschnitzte, mit Edelsteinen besetzte und in Seide gekleidete Figuren, um sich die Gunst des Himmels zu sichern. Und natürlich die Gunst der Priester. Die Frage, was von beiden ihm wichtiger war, hätte reichlich Stoff für Diskussionen geliefert.
Aber der Garten gehörte ihr, und er war in dieser wasserarmen Gegend ein ungeheurer Luxus. Die saftig grünen Pflanzen, die den Innenhof bis zum Überquellen füllten, legten deutlicher Zeugnis ab für den Reichtum des Fürsten, als wenn man den gesamten Palast bis zur Decke mit Goldbarren vollgeschichtet hätte. Siderea konnte zwar mühelos im Handumdrehen Wasser beschwören, aber das brauchten die Besucher ja nicht zu wissen.
Sie hätte ihren Gast lieber auf einer goldenen Liege empfangen, denn das hätte ihre Reize am besten zur Geltung gebracht, doch dagegen sträubte sich ihre Konjunkta. Keine Demutshaltung! Es war sinnlos, der Ikata erklären zu wollen, dass diese Haltung bei den Menschen genau das Gegenteil von Demut ausdrücken konnte – dass es ein Zeichen von Macht war, wenn sich ein Gast zu ihr herunterbeugen musste wie ein Diener. Ganz zu schweigen davon, dass es in der Wüste zum Protokoll gehörte, einen Mann für eine Frau zu entflammen, die er nicht haben konnte. Mit menschlicher Logik allein konnte man den mächtigen Ikati-Instinkt nicht überwinden, und Siderea hatte gelernt, dass es manchmal einfach Zeitvergeudung war, der Königin zu widersprechen. Also begab sie sich in einen Teil des Gartens, der besonders üppig grünte, stellte sich unter einen Bogen, um den sich Weinreben und Blütenglocken rankten, zog die spinnwebfeinen violetten und blauen Seidenbahnen ihres Gewandes so wirkungsvoll wie möglich zurecht und wartete.
Endlich kehrte der Diener zurück. »Herrin«, meldete er mit einer tiefen Verbeugung. »Ein Mann namens Nyuku bittet darum, Euch seine Aufwartung machen zu dürfen.«
Der Name ließ sie aufhorchen. Nyuku war gekommen? Nun, damit war auf jeden Fall erklärt, warum ihn die anderen Seelenfresser auf dem Weg hierher nicht angegriffen hatten. Nyuku bekleidete schon so lange eine Vorrangstellung unter den Reitern, dass sich keiner mehr erinnern konnte, wann es jemals anders gewesen war. Jedenfalls erzählten sie ihr das, wenn sie ihnen – selten genug – gestattete, mit ihr zu sprechen. In der rauen Welt der Ikati, wo man sich die Führung bei jeder Paarung neu verdienen musste und gescheiterter Ehrgeiz oft mit dem Tod bezahlt wurde, war ein solcher Rekord keine Kleinigkeit. Wahrscheinlich trugen die Hälfte der hiesigen Seelenfresser Spuren der Klauen und Stacheln von Nyukus Konjunkten.
Sie hatte ihn erwartet, aber nicht so bald. Zweifellos hatte ihn die Lage oben im Norden zum Handeln gezwungen.
»Bring ihn zu mir«, befahl sie. Sie spürte, wie sich der Herzschlag der jungen Königin erwartungsvoll beschleunigte und ihr eigener den Rhythmus aufnahm.
Der Diener verneigte sich abermals und ging. Zwei Gardisten traten ein und bezogen diskret Stellung hinter blühenden Sträuchern. Darauf bestand das höfische Protokoll. Seit sie Nasaans Fürstin war, durfte sie mit keinem anderen Mann mehr allein sein.
Als der Diener zurückkehrte, hatte er einen schwarzhaarigen Mann im Gefolge. Wie alle Reiter war Nyuku hager, und das Leben in den eisigen arktischen Winden hatte seine Haut rau gemacht. Anders als sie war er jedoch frisch gebadet und verströmte außer dem
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