Die Seelenquelle
Friedensverletzung auseinandersetzen.«
»Befehlshaber Thutmosis ist da draußen«, antwortete der Priester, der am nächsten stand. Er drehte sich um und sah, dass es Anen war, der ihn und die anderen angesprochen hatte. Er verbeugte sich tief. »O Herr, ich wusste ja nicht –«
»Außerhalb der Tore?«, fragte er nach und unterbrach so die automatische Entschuldigung seines Untergebenen.
»Er ist nach draußen gegangen, um mit ihnen zu sprechen«, erwiderte der Priester. »Er will herauszufinden, warum sie so etwas tun, und sie auffordern, dass sie uns in Frieden lassen.«
Anen neigte den Kopf zur Seite, lauschte dem Stimmengewirr, das über die Mauern zu ihnen drang. »Sag dem Befehlshaber, ich wünsche ihn zu sehen, sobald er zurückgekehrt ist. Ich erwarte ihn in meiner Kammer.«
Der Priester verbeugte sich tief, und Anen verabschiedete sich und kehrte in seine Räume im prunkvollen Haus des Propheten zurück. Er badete sich und zog ein sauberes Gewand an, dann legte er sich auf sein Bett. Gerade hatte er seine Augen geschlossen, als er im Gang draußen vor seiner Schlafkammer rasche Fußschritte hörte. Einen Augenblick später tapste sein Hausvorsteher in das Zimmer hinein und sagte: »Nur sehr ungern muss ich dich stören, o Herr. Befehlshaber Thutmosis ist mit einer Nachricht vom Aufstand zurückgekehrt.«
»Gebiete ihm einzutreten.« Anen erhob sich und stellte sich in Positur, bereit, den Anführer der Wachen zu empfangen.
»Die Weisheit des aufsteigenden Amun möge mit dir sein, Herr«, begrüßte ihn Thutmosis, während er direkt hinter dem Diener die Kammer betrat. Dann verbeugte er sich und wartete darauf, angesprochen zu werden.
»Welche Neuigkeiten gibt es?«, fragte Anen ungeduldig. »Los, Mann, sprich!«
»Wir werden von einem Pöbel belagert, der aus gemeinen Arbeitern aus Echnatons Stadt besteht«, antwortete Thutmosis. »Sie fordern, dass der Tempel geschlossen wird.« Anen sah den Befehlshaber groß an. »Unmöglich! Sind sie verrückt?«
»Das ist wahrscheinlich«, stimmte Thutmosis ihm zu. »Aber sie sagen, sie besitzen eine Verordnung vom Pharao höchstpersönlich.«
Anen öffnete verblüfft den Mund. »Von so etwas hat man noch nie gehört.«
»Ich behaupte ja nicht, dass es wahr ist«, erklärte Thutmosis. »Ich teile nur das mit, was sie selbst mit erzählt haben.«
Anen starrte den Anführer der Wachen an und sah, dass er aus einer Schnittverletzung an einer Seite des Gesichts blutete. Außerdem rann Blut an seinem Bein herab, das aus einer klaffenden Oberschenkelwunde quoll.
»Du bist verletzt, Befehlshaber«, bemerkte Anen. »Haben sie dir das zugefügt?«
»Sie haben sich geweigert, diesen Erlass irgendjemand anderem als dir zu zeigen, Herr. Sie fordern, sofort eine Audienz zu erhalten.«
»Ach, tatsächlich!«, höhnte Anen und straffte sich. »Ich werde zu ihnen sprechen. Doch bei der Macht des Horus, ich will nicht, dass sie auf heiligem Grund toben. Richte ihnen aus: ›Also spricht Anen, der Zweite Prophet des Amun! Ihr sollt vier aus eurer Anzahl auswählen, die euch repräsentieren. Diese vier Repräsentanten – und nur diese allein – werden nach den Morgengebeten zum Hof des Tempels eingelassen. Wir werden uns mit dem Hohen Priester zusammensetzen und die Angelegenheit besprechen wie zivilisierte Menschen.‹ Das ist es, was ich entschieden habe.«
»So soll es ausgeführt werden, Herr.« Thutmosis verbeugte sich und eilte fort, um Anens Botschaft zu überbringen.
Bevor Anen sich wieder zur Ruhe legen konnte, war der Befehlshaber zurück mit der Nachricht, dass die Arbeiter sich weigerten, den Tempelbezirk zu betreten, weil sie ihn für einen unreinen Ort hielten. »Sie beharren darauf, dass du zu ihnen nach draußen kommst«, berichtete Thutmosis.
Die Forderung war so dreist, dass Anen nur ungläubig auf den Befehlshaber starren konnte. Es konnte kein Zufall sein, dass dies hier sich so schnell nach ihrer feindseligen Konfrontation mit den Arbeitern in Achet-Aton ereignete. Es war ein wohlüberlegter Akt der Aggression. Aber weshalb wurden lediglich Arbeiter hierher geschickt? Das ergab keinen Sinn. Der Pharao befehligte Armeen; er bräuchte nur ein einziges Wort zu sagen, und seine königliche Leibwache würde auf sein Geheiß hin sogar direkt ins Meer hineinmarschieren. Entweder log der Mob, was den Erlass anbelangte – und dies schien nur allzu wahrscheinlich zu sein –, oder es wurde irgendein geheimerer Zweck verfolgt, den er noch nicht zu
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